Bruderkampf
Fingern ungeduldig auf die polierte Platte, ehe er einen langen Schluck trank. Er wirkte gezwungen, ja sogar nervös, seit sein Sohn das Haus betreten hatte. Bolitho betrachtete ihn schweigend.
Sein Vater hatte sich sehr verändert. Er hatte ihn in seiner Kindheit selten zu Gesicht bekommen und seitdem auch nicht oft. Eigentlich nur bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er von fernen Kriegen und aus entlegenen Ländern nach Hause gekommen war, von Unternehmungen, über die die Kinder nur Vermutungen anstellen konnten. Dachte Bolitho an ihn, so hatte er einen hochgewachsenen und ernsten Mann in Marineuniform vor Augen, dessen Selbstdisziplin den Raum füllte, sobald er durch die vertraute Tür zwischen den Ahnenporträts trat: Männer wie er, wie sein Sohn, in erster Linie Seeleute.
Während Bolitho unter Sir Henry Langford als Midshipman fuhr, hörte er von der Verwundung seines Vaters. Es war in Indien geschehen, im Kampf um die sich rasch entwickelnden Kolonien. Er fand ihn alt und verbittert wieder. Aus der Stammrolle der Marine gestrichen zu sein, wie ehrenhaft auch immer, bedeutete für ihn mehr als der Verlust eines Armes. Es war, als habe man ihn des Lebens beraubt.
In Falmouth wurde er als aufrechter und gerechter Richter geachtet. Bolitho wußte jedoch nur zu genau, daß das Herz seines Vaters noch immer der See gehörte, den Schiffen, die mit den Gezeiten kamen und gingen.
Bolitho hatte einen Bruder und zwei Schwestern. Beide Schwestern waren nun verheiratet, eine mit einem Grundbesitzer, die andere mit einem Offizier der Garnison.
Über Hugh, seinen älteren Bruder, hatten sie bis jetzt noch kein Wort gewechselt. Bolitho wartete, daß sein Vater sich äußern würde, denn wie er vermutete, war es Hugh, um den seine Gedanken vor allem kreisten.
»Ich habe dein Schiff einlaufen sehen, Richard.« Die Finger trommelten auf dem Tisch. »Eine feine Fregatte, und in Westindien wirst du für die Familie zweifelsohne Ehre einlegen.« Er schüttelte sorgenvoll den Kopf. »England braucht jetzt alle seine Söhne. Wir haben die ganze Welt zum Feind.«
Das Haus war totenstill. Nach dem Schwanken des Decks und dem Knarren der Rahen wirkte es wie eine andere Welt. Selbst die Gerüche waren anders. Es fehlten die Ausdünstungen zusammengepferchter Leiber, die Gerüche von Teer und Salz, von Kochdunst und Nässe.
Und es wirkte einsam. Bolitho dachte an seine Mutter. Jung und lebhaft, so stand sie ihm vor Augen. Er war auf See gewesen, als eine kurze, aber tödliche Krankheit sie hinraffte.
Sein Vater stand auf und trat an den Kamin. Über die Schulter sagte er schroff: »Das mit deinem Bruder hast du wohl schon gehört?«
Bolitho straffte sich. »Nein. Ist er denn nicht auf See?«
»Auf See?« Sein Vater schüttelte den Kopf. »Nun ja, ich habe es dir nicht mitgeteilt. Vermutlich hätte ich es dir schreiben sollen, aber im tiefsten Herzen hoffte ich noch immer, daß er seine Haltung ändern würde. Niemand hätte dann davon erfahren.«
Bolitho wartete. Sein Bruder Hugh war stets der Augapfel seines Vaters gewesen. Als sie sich das letztemal begegneten, war er Leutnant der Kanalflotte gewesen und Anwärter auf dieses Haus und das Familienerbe. Bolitho hatte seinem Bruder nie besonders nahe gestanden und es auf ganz natürlichen Geschwisterneid zurückgeführt. Jetzt war er sich dessen nicht so sicher.
»Ich hatte große Hoffnungen auf Hugh gesetzt.« Sein Vater sprach in das Kaminfeuer. »Ich bin nur froh, daß seine Mutter nicht mehr erleben muß, was aus ihm geworden ist.«
»Kann ich auf irgendeine Weise helfen?« Bolitho sah, wie die Schultern seines Vaters bebten, als er seine Stimme zu beherrschen suchte.
»Nein. Hugh ist nicht mehr bei der Marine. Er hat Spielschulden gemacht. Er hatte ja immer einen Hang zum Spieltisch, das weißt du. Aber diesmal geriet er in ernste Schwierigkeiten. Es kam zu einem Duell mit einem anderen Offizier. Er tötete ihn.«
Bolitho begann klarer zu sehen. Deshalb die geringe Dienerschaft. Deshalb war die Hälfte des zum Haus gehörenden Landes an einen Bauern verkauft worden.
»Du hast seine Schulden beglichen?« Er sprach so gelassen wie möglich. »Ich habe etwas Prisengeld. Wenn damit . . .«
Sein Vater hob die Hand. »Nicht nötig. Es war meine Schuld.
Ich war blind, habe den Jungen falsch erzogen. Dafür muß ich eben zahlen. « Und matter setzte er hinzu: »Er hat der Marine den Rücken gekehrt, obwohl er wußte, wie sehr sein Verhalten mich schmerzen mußte. Nun
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