Bruderschaft der Unsterblichen
einfach eine Umgebung von Geheimnis und romantischer Abgelegenheit, wenn sie sich gegen die krachenden, klingenden Resonanzen des skeptizistischen, materialistischen zwanzigsten Jahrhunderts behaupten wollen. Eine Wüste ist dafür ideal. Hier ist der Himmel auf schmerzhafte Weise blau, der Boden besteht nur aus einer dünnen, verbrannten Kruste über einem Felsmassiv, die Pflanzen und Bäume sehen verdreht aus, dornig und bizarr. An Orten wie diesem scheint die Zeit stillzustehen. Hier können die alten Götter gedeihen. Die moderne Welt kann hier nicht eindringen und nichts durcheinanderbringen, wir überleben die alten Götter, und die alten Gesänge tönen gegen den Himmel, unbehelligt vom Gebrüll des Verkehrslärms und dem Klappern der Maschinen. Als ich Ned von diesem Eindruck erzählte, widersprach er. Die Wüste sei nur eine Theaterkulisse und hohl, sagte er, etwas zum Campen. Und für solche Überbleibsel aus dem Altertum wie die Hüter der Schädel, sei der beste Platz das Herz einer geschäftigen Großstadt, wo der Kontrast zwischen ihrer Art und unserer Welt am deutlichsten werde. Zum Beispiel ein unauffälliges Haus im Osten, 63. Straße, wo die Priester selbstgefällig ihren Riten nachgehen könnten, zwischen Kunstgalerien und Hundesalons. Eine weitere Möglichkeit, schlug er vor, sei ein einstöckiges Gebäude aus Stein und Glas, eine Fabrikhalle auf einem Vorort-Industriegelände, wo vorher Klimaanlagen und andere Büroausstattungen hergestellt worden sind. Kontrast ist alles, sagte Ned, das Mißverhältnis die Essenz. Das Geheimnis der Kunst liege darin begründet, einen sinnvollen Widerspruch herauszuarbeiten, und was sei die Religion anderes als eine Kunstkategorie? Aber ich glaube, Ned wollte mich wie gewöhnlich auf den Arm nehmen. Wie dem auch sei, ich kann mit seinen Thesen von Kontrast und Gegensätzlichkeit nicht warm werden. Diese Wüste hier, dieses trockene Ödland, ist der ideale Standort für das Hauptquartier derer, die nicht sterben werden.
Als wir von New Mexico in den Süden Arizonas gelangten, ließen wir damit die letzten Spuren des Winters hinter uns. Noch in Albuquerque war die Luft frisch, sogar kalt gewesen, aber hier sind die klimatischen Verhältnisse einfach angenehmer. Das Land senkte sich, als wir an der mexikanischen Grenze nach Phoenix abbogen. Die Temperatur stieg sprunghaft an, von 10 auf 25 Grad oder sogar noch höher. Die Berge wurden niedriger und sahen aus, als seien sie aus Bröckchen rotbrauner Erde gemacht, die zu Klumpen zusammengepreßt und mit Klebstoff überzogen worden waren. Ich stellte mir vor, ich könnte mit dem Finger ein tiefes Loch in solche Erde bohren. Sanfte, verletzliche, abfallende Hügel, die praktisch nackt waren. Wie eine Mars-Landschaft. Auch die Vegetation war hier anders. Statt an dunklen Unterholzflächen und knorrigen, kleinen Pinien fuhren wir jetzt an ausgebreiteten Riesen-Kakteen vorbei, die wie Phalli aus dem braunen, schuppigen Boden sprossen. Ned spielte für uns den Botaniker. Das sind Saguaros, sagte er, diese Kakteen mit den großen Armen, die größer als Telefonmasten sind. Und jene struppigen, stachelbewehrten, blaugrünen, blattlosen Bäume, die so aussehen, als stammten sie von einem anderen Planeten, heißen Palo Verde. Und diese knorrigen, emporgereckten Bündel von zusammenhängenden hölzernen Ästen werden Ocotillo genannt. Ned kennt sich sehr gut im Südwesten aus. Für ihn ist es eine Art zweite Heimat, nachdem er vor ein paar Jahren einige Zeit in New Mexico verbracht hat. Aber Ned fühlt sich überhaupt überall wie zu Hause. Er spricht gern von der internationalen Schwulen-Bruderschaft. Wo er auch hinkommt, er kann sicher sein, Unterkunft und Freunde von seiner Art zu finden. Manchmal beneide ich ihn. Vielleicht wird der ganze Wahnsinn, als Schwuler in einer normalen Gesellschaft zu leben, von dem Wissen um Plätze aufgewogen, an denen man immer willkommen ist, einzig und allein aus dem Grund, weil man zum gleichen Stamm gehört. Mein Volk ist bei weitem nicht so gastfreundlich.
Wir überquerten die Grenze nach Arizona und sausten nach Phoenix. Eine Zeitlang wurde die Landschaft wieder gebirgiger, das Gelände wirkte nicht mehr so, als sei das Betreten verboten. Hier war das Land der Indianer – der Pimas. Wir konnten einen Blick auf den Coolidge-Damm werfen; Erinnerungen an den Erdkundeunterricht. Als wir hundert Meilen östlich von Phoenix waren, begannen schon Plakattafeln, uns einzuladen – nein, zu
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