Bruderschaft der Unsterblichen
von ihm. Er sah nicht so aus, als könnte er sich krankhaft mit einer Sache beschäftigen. Ja, er kannte die Bruderschaft der Schädel, aber bei ihm hieß sie anders. „Die mexikanischen Patres“ war sein Ausdruck dafür. Nein, er selbst sei noch nie dort gewesen, aber er habe mit jemandem gesprochen, der schon dort gewesen sei, ein Tourist aus Massachusetts, vielleicht sogar derselbe, der den Artikel in der Zeitung geschrieben hatte. Timothy fragte Gilson, ob er uns den Standort des Klosters sagen könnte. Gilson bat uns ins Haus: nicht groß, sauber, die typische Südwestler-Einrichtung mit Navaho-Decken an den Wänden; ein halbes Dutzend cremefarbene und orange Töpfe der Hopi beanspruchten die Bücherregale für sich. Er holte eine Karte von Phoenix und Umgebung. „Hier befinden Sie sich im Moment“, sagte er und tippte auf die Karte. „Um aus der Stadt rauszukommen, müssen Sie sich hierhinwenden, Black Cañon Highway, das ist eine Schnellstraße. Sie nehmen diese Auffahrt hier und fahren in Richtung Norden. Folgen Sie der Ausschilderung nach Prescott, auch wenn Sie dort ja gar nicht hinwollen. Also hier, sehen Sie, nicht weit aus der Stadt heraus, ein bis zwei Meilen, verlassen Sie die Schnellstraße – haben Sie eine Karte? Kommen Sie, ich markiere es Ihnen. Dann folgen Sie dieser Straße hier, und dann biegen Sie auf dieser dort ab, sehen Sie, die nach Nordosten führt … ich glaube, das sind sechs, sieben Meilen …“ Er malte einige Zickzacklinien auf unsere Straßenkarte und schließlich ein großes X. „Nein“, sagte er, „das ist nicht der Platz, wo das Kloster steht. An dieser Stelle müssen Sie den Wagen zurücklassen und zu Fuß weitergehen. Die Straße wird dort zu einem Wüstenpfad, kein Wagen kommt da durch, noch nicht einmal ein Jeep. Aber junge Leute wie Sie werden keine Schwierigkeiten haben, es sind nur drei bis vier Meilen, immer stur nach Osten.“
„Was ist, wenn wir daran vorbeilaufen?“ fragte Timothy. „Am Kloster, nicht an der Straße.“
„Das werden Sie schon nicht“, erklärte uns Gilson. „Aber wenn Sie zu der Indianerreservation Fort McDowell kommen, wissen Sie, daß Sie etwas zu weit gelaufen sind. Und wenn Sie am Roosevelt-See herauskommen, wissen Sie, daß Sie ein ganz schönes Stück zu weit gelaufen sind.“
Er bat uns, als wir uns verabschiedeten, auf dem Rückweg durch Phoenix bei ihm anzuhalten und ihm zu erzählen, was wir entdeckt hatten. „Ich möchte meine Unterlagen gerne komplett haben“, sagte er. „Ich wollte ja schon selbst immer einmal hin, aber Sie wissen ja, wie das so ist, es gibt soviel, was man alles machen will, und hat viel zuwenig Zeit dafür.“
Klar doch, sagten wir ihm. Wir werden Ihnen alles von A bis Z erzählen.
Rein in den Wagen, Oliver ans Steuer, Eli über die Karte gebeugt, die auf seinen Beinen ausgebreitet ist. In den Westen zum Black Cañon Highway. Ein breiter Superhighway, der in der Morgensonne schmorte. Kein Verkehr, nur ein paar schwere Laster. Wir rasten nach Norden. Alle unsere Fragen würden in Kürze beantwortet werden; zweifellos würden auch ein paar neue auftauchen. Unser Glaube, oder vielleicht besser unsere Naivität, würde belohnt werden. Mitten in dieser glühenden Hitze traf mich ein Kälteschauer. Ich vernahm eine lärmende, aufwallende Ouvertüre, die aus einem tiefen Schacht erwuchs, unheilverkündend, wagnerisch, Tubas und Posaunen machten eine dunkle, pulsierende Musik. Der Vorhang hob sich, aber ich wußte nicht, ob wir den ersten oder den letzten Akt vor uns hatten. Ich zweifelte nicht länger, daß das Schädelhaus sich wirklich dort befand. Gilson war zu überzeugt davon gewesen; das war keine Legende, sondern eine weitere Manifestation des Drangs nach Spiritismus, den diese Wüste in der Menschheit zu erwecken schien. Wir würden das Kloster finden, und es würde das richtige sein, der direkte Nachkomme des Klosters, das im Buch der Schädel beschrieben wird. Wieder ein angenehmes Schaudern – was, wenn wir den Autor des alten Manuskripts leibhaftig zu Gesicht bekommen würden, jahrtausendealt, zeitlos? Alles ist möglich, wenn man nur daran glaubt.
Glaube. Wie sehr ist mein Leben doch von diesen sechs Buchstaben beeinflußt worden! Das Bildnis des Künstlers als junger Spund: die kirchliche Schule, ihr vermodertes Dach, der Wind pfeift durch die Fenster, die so dringend einer Ausbesserung bedürfen, die bläßlichen, unerbittlichen Nonnen, die finster aus ihren schmucklosen Brillen in der
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