Bruderschaft der Unsterblichen
Halle auf uns blicken. Der Katechismus. Die saubergewaschenen kleinen Jungen in weißen Hemden mit roten Schlipsen. Pater Burke, der uns unterrichtete. Fett, jung, ein rosafarbenes Gesicht, ständig Schweißperlen über der Oberlippe, ein Klumpen weichen Fleisches hing über den Kragen seiner Tracht. Er muß so fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt gewesen sein, ein junger Priester, dem das Zölibat nicht paßte, der Schwanz noch nicht eingerostet, der sich in dunklen Stunden fragte, ob es das alles wert sei. Für den siebenjährigen Ned war er die Verkörperung der heiligen Schrift, grimmig und gewaltig. Ständig einen langen Stock in der Hand, den er auch einsetzte. Er hatte seinen Joyce gelesen, er spielte seine Rolle, und er schwang den Rohrstock. Sagt mir, ich soll aufstehen. Zitternd erhebe ich mich, möchte mir in die Hose machen und weglaufen. Meine Nase läuft. (Bis ich zwölf war, lief mir immer die Nase; mein Bild von mir als Kind wird im wesentlichen von einem dunklen Schmutzfleck und einem klebrigen Dreckschnurrbart bestimmt. Die Pubertät drehte diesen Hahn schließlich ab.) Mein Handgelenk fährt zur Oberlippe: einmal rasch drübergewischt. „Sei nicht so gewöhnlich!“ kommt es von Pater Burke, die wäßrigen blauen Augen blitzen. Gott ist Liebe, Gott ist Liebe, aber was ist dann Pater Burke? Der Rohrstock pfeift durch die Luft. Die Blitzschläge seines schrecklichen, hurtigen Schwerts. Gereizt gestikuliert er vor mir. „Das apostolische Glaubensbekenntnis, los, raus damit!“
Stammelnd sage ich: „Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, und an den einen Herrn Jesus Christus … und an den einen Herrn Jesus Christus …“
Ich stockte. Hinter mir ein rauhes Flüstern, Sandy Dolan: „Gottes eingeborenen Sohn.“ Meine Knie zittern. Meine Seele schreit. Letzten Sonntag haben Sandy Dolan und ich nach der Messe durch Fensterscheiben geguckt und seine Schwester dabei beobachtet, wie sie sich umzog. Fünfzehn Jahre alt, kleine Brüste mit rosafarbenen Knospen, unten dunkle Haare. Dunkle Haare. Bei uns wachsen auch Haare, flüsterte Sandy. Hat Gott uns gesehen, wie wir sie heimlich beobachteten? Am heiligen Sonntag solche Sünde! Jetzt erhebt sich drohend der Rohrstock.
„… Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn. Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria …“ Ja, jetzt weiß ich endlich wieder weiter, bin mit dem Herzen dabei. Jetzt kommt der melodramatische Teil, den ich so liebe. Ich spreche überzeugter, lauter, meine Stimme ein heller Flöten-Sopran. „… Unter Pontius Pilatus hat er den Tod erlitten und ist begraben worden. Er ist auferstanden am dritten Tage; er ist aufgefahren in den Himmel … aufgefahren in den Himmel …“
Ich habe mich wieder verzettelt. Sandy, hilf mir! Aber Pater Burke steht zu dicht bei mir. Sandy wagt es nicht zu sprechen.
„… aufgefahren in den Himmel …“
„Er ist längst da, Junge“, schnappte der Priester. „Fahre fort! Aufgefahren in den Himmel …“
Meine Zunge klebt am Gaumen. Alle starren mich an. Darf ich mich nicht wieder hinsetzen? Kann Sandy nicht weitermachen? Ich bin erst sieben Jahre alt, Herr, muß ich da schon das ganze Kredo kennen?
Der Rohrstock … der Rohrstock …
Unglaublicherweise ist es der Pater selbst, der mir hilft.
„… und sitzet zur Rechten des Vaters …“
Genau die richtige Hilfe. Ich nehme mich ihrer an. „… und sitzet auf der Rechten des Vaters …“
„Zur Rechten!“ Und meine linke Hand empfängt einen Hieb. Ein heißer, brennender, stechender, kribbelnder Hieb wie das laute Krachen eines zerbrechenden Stocks läßt meine zitternde Hand wie ein Blatt im Feuer zusammenschrumpfen: Das Geräusch und der brennende Schmerz treiben mir die Tränen in die Augen. Darf ich mich jetzt hinsetzen? Nein, ich muß weitermachen. Man erwartet zuviel von mir. Die alte Nonne Mary Joseph, ihr Gesicht eine einzige Ansammlung von Falten, liest eines von meinen Gedichten laut vor allen vor, meine Ode an den Ostersonntag, und erklärt mir danach, ich habe großes Talent. Mach jetzt weiter! Das Kredo, das Kredo, das Kredo! Das ist nicht fair. Sie haben mich geschlagen, und darum darf ich mich jetzt auch wieder hinsetzen. „Weitermachen“, sagte der unerbittliche Pater. „… und sitzet zur Rechten des Vaters …“
Ich nickte. „… und sitzet zur Rechten von Gott, dem allmächtigen Vater. Er wird wiederkommen in Herrlichkeit,
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