Bruderschaft der Unsterblichen
Mauren hätten dieses Märchen von den Schädeln im achten oder neunten Jahrhundert nach Katalonien gebracht. Nichts. Was ich da auch gefunden hatte, es war kein Fragment nach Motiven aus den Arabischen Nächten. Vielleicht dann aus der Periode Karls des Großen? Oder ein romanisches Lügenmärchen, von dem man bislang noch nichts wußte? Ich wühlte mich durch unhandliche Verzeichnisse der mythologischen Leitgedanken des Mittelalters. Nichts. Ich versuchte es noch früher. Innerhalb einer Woche wurde ich zum Experten der gesamten Literatur von Langlebigkeit und Unsterblichkeit. Tithonus, Methusalem, Gilgamesch, der Uttarakurus und der Jambu-Baum, der Fischer Glaukus, die Unvergänglichkeit des Taoismus, jawohl, die gesamte Bibliographie. Und dann ging der Kronleuchter auf, fielen die Groschen gleich reihenweise, ein Schrei, der die studentischen Hilfskräfte aus allen Ecken zusammenrennen ließ. Arizona! Mönche, die von Mexiko gekommen waren und davor von Spanien nach Mexiko gekommen waren!
Der Fries der Schädel! Ich suchte wie ein Wilder den Artikel in der Beilage der Sonntagszeitung. Las ihn wie im Delirium. Ja. „Überall Schädel, grinsend und düster, als Relief oder in sonstigen dreidimensionalen Darstellungen. Die Mönche sind hager und kräftig … Der einzige, mit dem ich sprechen konnte … mochte dreißig oder dreihundert Jahre alt sein; es war unmöglich, dies zu entscheiden.“ Daß Sie immer noch leben, Vater Perrault. Meine verwirrte Seele fuhr zurück. Konnte ich an so etwas glauben? Ich, der Skeptiker, der Spötter, der Materialist, der Pragmatiker? Unsterblichkeit? Ein uralter Kult? Die Hüter der Schädel weilen zwischen Kakteen? Die ganze Angelegenheit kein Mythos des Mittelalters, keine Legende, sondern wirklich eine beständig fortlaufende Einrichtung, die sogar bis in unsere automatisierte Welt vorgedrungen war, eine Einrichtung, die ich sogar mit eigenen Augen sehen konnte, sobald ich nur Lust hatte, den Ausflug dorthin zu unternehmen und als Kandidat der Unsterblichkeit die Prüfung zu machen. Eli Steinfeld lebt, um das Morgengrauen des sechsunddreißigsten Jahrhunderts zu erblicken. Das sprengte jegliche Vorstellungskraft. Ich weigerte mich, mehr als einen merkwürdigen Zufall in der Übereinstimmung von Manuskript und Zeitungsartikel zu sehen. Dann, nach erneuten Überlegungen, schaffte ich es, die Annahme der Weigerung zu verweigern und die Tatsache selbst zu akzeptieren. Es war notwendig, einen Akt des Glaubens zu vollziehen, den ersten, den ich je zustande brachte, um die Sache anzunehmen. Ich zwang mich zuzugeben, daß durchaus Mächte existieren könnten, die außerhalb des gegenwärtigen Wissenschaftsverständnisses lagen. Ich nötigte mich, die bisherige Gewohnheit abzulegen, alles Unbekannte abzulehnen, solange nicht hieb- und stichfeste Beweise dafür vorlagen. Ich fühlte mich willig und glücklich auf einer Stufe mit den Ufologen, den Atlantis-Gläubigen, der Scientology-Sekte, den Anhängern der Meinung, daß die Erde eine Scheibe sei, den Forteans, den Makrobiotikern, den Astrologen, mit der ganzen Unmenge von Abergläubigen, in deren Gesellschaft ich mich bislang nicht sonderlich wohlgefühlt hatte. Zum Schluß glaubte ich, ich glaubte fest daran, obwohl ich die Möglichkeit nicht ausschloß, alles könne ein Irrtum sein. Ich glaubte. Dann erzählte ich Ned davon und nach einer Weile auch Oliver und Timothy. Hielt ihnen den Köder unter die Nase. Wir bieten euch das ewige Leben an. Und jetzt sind wir in Phoenix. Palmen, Kakteen, das Kamel vor dem Motel: Hier sind wir also. Morgen startet die letzte Phase unserer Suche nach dem Haus der Schädel.
19. KAPITEL
Oliver
Vielleicht habe ich mich wegen des Anhalters zu blöde angestellt. Ich weiß es nicht. Im Nachhinein verwirrt mich der ganze Vorfall. Normalerweise sind mir meine Motive immer klar, offen liegen sie vor mir. Aber dieses Mal war es anders. Ich habe Ned wirklich angebrüllt und angemacht. Warum? Eli nahm mich dafür später in die Mangel und erklärte mir, daß es nicht meine Sache sei, mich in Neds freie Entscheidung einzumischen, irgend jemandem zu helfen. Ned hatte am Steuer gesessen und damit das Kommando. Sogar Timothy, der mir doch den Rücken bei diesem Vorfall gestärkt hatte, sagte mir später, daß er meine Reaktion für überzogen hielt. Der einzige, der sich an diesem Abend nicht dazu äußerte, war Ned. Aber ich wußte genau, daß Ned sich innerlich stark damit beschäftigte.
Warum habe ich
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