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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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Zimmer?«
    Ich zuckte mit den Achseln.
    »Du weckst mich manchmal auf«, sagte sie. »Dann wackelt das ganze Bett, weil du dich hin- und herwirfst. Manchmal murmelst du im Schlaf unverständliches Zeug, und du weinst. Vielleicht brauchst du ein Schlafmittel.«
    »Spinnst du?«
    Sie sah mich an und grinste.
    »Ich kenne eins. Wir werden morgen Abend tanzen gehen«, sagte sie. »Nur du und ich.«
    »Wozu?«, fragte ich.
    »Weil wir neunzehn sind, weil das Leben schön ist und weil du ein ›Ungenügend‹ bekommen hast. Darauf müssen wir einen trinken. Und dann wirst du schlafen wie ein Bär. Glaub mir, es gibt nichts Besseres.«
    Lena ging häufig aus, und weil ich nur selten durchschlief, hörte ich sie meistens spät heimkommen. Erst das Drehen des Schlüssels im Schloss, dann das verstohlene Öffnen der Tür, das Tappen den kurzen Flur entlang. Manchmal rauschte die Toilettenspülung im Bad, manchmal hörte ich leise Flüche, ein Rumoren, ein Flüstern.
    Ihre Methode mag nicht sonderlich originell gewesen sein, doch der Alkohol und das Tanzen halfen mir – und der Sex. Wahlloser Sex mit Männern, die wir in Studentenkneipen und Diskotheken aufrissen. Sie verbannten für eine Nacht meine Dämonen, und das war alles, was ich in dieser Zeit erwartete.
    Allmählich ließen die Träume nach, und meine Erinnerungen verkrochen sich in den hintersten Winkeln meines Gedächtnisses. Doch noch Jahre später bedurfte es nur eines Auslösers, schon überschwemmten mich die Bilder aus meiner Vergangenheit und trieben mir die Tränen in die Augen. Manchmal während ich für Max das Abendessen vorbereitete, mitunter gar während eines Prozesses, den ich beobachtete. Doch mit Geduld und Konzentration war es mir gelungen, meinen Dämonen immer öfter zu entfliehen.
    Nun aber bröckelten meine Schutzwälle, und das war etwas, was mir nicht gefiel.
    Kaum bog ich in den Weg ein, in dem sich das Grab meiner Mutter befand, sah ich eine Gestalt. Der Lichtkegel einer Laterne hatte sie erfasst, doch es war nicht Leo.
    Es war eine Frau, und ich erkannte sie sofort an dem flammend roten Haar, das zwar dünn geworden war, ihr jedoch noch immer bis auf die Schultern fiel. Sie trug einen langen dunklen Wollmantel, der wie ein zu großes Zelt um ihren Körper hing. Gebeugt stützte sie sich auf einen Schneeschieber und stand starr wie eine Statue.
    Sie rührte sich auch dann nicht, als ich sie erreichte.
    »Guten Abend, Margo«, sagte ich. »Ich bin es.«
    Ich streckte meine Hand aus, um sie zu begrüßen.
    »Weshalb vergammeln diese Kränze und Sträuße hier unter dem Schnee?«, fragte sie mit ihrem typisch englischen Akzent und wandte sich mir zu. Sie ignorierte meine ausgestreckte Hand.
    Ich blickte in ein verhärmtes Gesicht, aus dem mich zwei helle Augen feindselig anschauten.
    »Wir haben sie erst vor zwei Tagen beerdigt.«
    Ich zog meine Hand zurück und legte das Gesteck auf das Grab, während ich mein Erschrecken über ihren Anblick zu verbergen versuchte. Sie musste inzwischen um die 60 sein. Als ich sie kennen lernte, war sie eine Schönheit mit einem feinen blassen Teint, hoher Stirn und grünen Augen. Doch an diesem Abend sah sie aus wie jemand, dem das Leben jede Enttäuschung einzeln in das einst feine Gesicht geritzt hatte.
    Eine Böe wehte ihre eine Strähne des feuchten Haares in die Stirn. Fröstelnd zog sie den Mantel mit einer Hand über der Brust zusammen. Die andere umklammerte den Holzstiel.
    »Tut mir leid, das mit eurer Mutter«, sagte sie, doch ich hörte ihrer Stimme an, dass sie nichts mehr wünschte, als dass mich der nächste Windstoß davontrug.
    Ich rührte mich nicht von der Stelle und wich ihrem Blick nicht aus.
    »Sie fehlt mir«, sagte ich und trat von einem Fuß auf den anderen.
    Einen Moment sah sie so aus, als würde sie gleich weinen. Dann trat wieder derselbe abweisende Ausdruck in ihr Gesicht.
    »Ihr hattet sie nicht verdient«, sagte sie mürrisch.
    »Margo«, sagte ich leise.
    »Ihr habt allen nur Unglück gebracht, du und dein Bruder«, stieß sie hervor, als hätte der Satz all die Jahre sprungbereit in ihr gelauert und nun endlich eine Gelegenheit gefunden, ins Freie zu gelangen und seine zersetzende Wirkung zu tun.
    Sie atmete schwer. Ich erinnerte mich, dass sie Asthma hatte und dass sie häufig, wenn die Luft feucht und schwer war oder wenn sie sich aufregte, einen ihrer Anfälle bekam.
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte ich. »Soll ich dich nach Hause bringen?«
    Ich streckte ihr wieder die

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