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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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einem Thema allein abhängig zu machen. Das sollte der Westen erkennen.
    Zu dieser Erkenntnis gehört auch, bei der Gestaltung der neuen Weltordnung unseren großen östlichen Nachbarn Russland nicht nur als »Partner wenn notwendig« anzusehen, sondern als eines der großen Kraftzentren dieser neuen Weltordnung, als unseren Nachbarn eben, mit dem es möglichst viele gemeinsame Interessen zu definieren gilt.
    LINDNER
    Das bleibt abzuwarten. Auch hier spielt wiederum China eine Rolle. Für die Zukunft sind Grenzkonflikte nicht ausgeschlossen. Da wäre eine stärkere Einbindung Russlands und Chinas in den Dialog mit Europa gleichermaßen wichtig.
    GENSCHER
    Umso mehr sind wir aufgefordert, initiativ gegenüber Russland zu werden. Der Bundesaußenminister hat dankenswerterweise dazu Impulse gegeben. Ich bin überzeugt: Die EU braucht eine neue Ostpolitik, politisch und ökonomisch, und die NATO braucht neue Initiativen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung. Westliche Alleingänge wie die Pläne für die Stationierung von Raketenabwehrsystemen erschweren diese Bemühungen. Hier zeigt sich, wie wichtig ein westliches Gesamtkonzept à la Harmel für Europa unter Einschluss Russlands wäre. Ich wiederhole: Wir brauchen ein Harmel II .
    LINDNER
    Dennoch ist es bemerkenswert, dass ein Land wie Russland mit seinen Rohstoffreserven technologisch keinen Anschluss findet. Ich sehe auch mit Sorge, dass Gas-Lieferungen und Preisgestaltung an politische Zugeständnisse geknüpft werden, wie das im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine passiert.
    GENSCHER
    Sie sollten Russland aber nicht nur als Rohstoff- und Energielieferanten betrachten. Im übrigen ist für beide Seiten wichtig: Versorgungs- und Abnahmesicherheit. Das Ziel, die russische Wirtschaft zu modernisieren, ist auch in unserem Interesse. Das Verhältnis zwischen EU und Russland wird auch nicht getrübt durch die Besorgnis einer machtpolitischen Rivalität. Eine fortschreitende gegenseitige Öffnung ist deshalb eine ebenso nützliche wie realistische Option. Es ist lange her, dass in Brüssel das Projekt einer gesamteuropäischen Freihandelszone, die Russland einschließt, als eine ebenso machbare wie naheliegende Option betrachtet wurde. Was hindert uns daran, diesem Aspekt wieder größere Aufmerksamkeit zu widmen? Dadurch können auch neue Entwicklungen innerhalb Russlands angestoßen werden.
    LINDNER
    Unser ganzes Gespräch kreist bei allen Fragen um Dialog, Kooperation, Vertrauen, Netzwerke. Ganz oft haben Sie heute Intensivierung, Vertiefung, die Neuaufnahme von Gesprächsfäden gefordert. Offensichtlich sehen Sie da gegenwärtig einen Mangel.
    GENSCHER
    Hier kann gar nicht genug geschehen. Ich glaube, ein entscheidendes Element jeder erfolgreichen Außenpolitik ist Vertrauensbildung. Sie können Meinungsunterschiede haben und sich widersprechen, aber Sie müssen absolut berechenbar sein. Das ist ganz wichtig. Und Sie können Gegensätze haben, die müssen Sie dann gemeinsam definieren. Aber sie müssen untereinander einig sein, dass Sie um solche Differenzen herum weiter kooperieren wollen. Manchmal frage ich mich, ob nicht ein Zuviel an Gipfelbegegnungen, sei es bilateral, sei es multilateral, Probleme schaffen kann für die Entwicklung kooperativer permanenter Strukturen.
    LINDNER
    Sie meinen, die permanente Gipfeldiplomatie ist keine geeignete Form für echten Austausch?
    GENSCHER
    Nicht nur das. Ich will ein Beispiel geben: Ich habe ein enges Verhältnis zu Roland Dumas gepflegt, meinem Außenminister-Kollegen in Paris. Wir haben jeden Sonntag am Spätnachmittag telefoniert – mal hat er angerufen, mal ich. Und ohne Agenda: Was liegt denn bei euch an in der nächsten Woche, was bei uns? Ich konnte aus dem Gespräch entnehmen, wie die Lage ist, und er umgekehrt auch. Wenn es kompliziert wurde, habe ich mich abends ins Flugzeug gesetzt und bin zu ihm nach Paris geflogen, oder er kam zu mir nach Bonn. Das blieb sogar noch in der Zeit der Cohabitation so, als der Außenminister ein Mann von Ministerpräsident Jacques Chirac war. Roland Dumas reiste in der Präsidentenmaschine an – so etwas geht auch nur in Frankreich. Zu der Zeit war er ja noch nicht mal mehr Abgeordneter und machte trotzdem Außenpolitik für den Präsidenten Mitterrand. Vielleicht gibt es ja auch heute hinter den Kulissen noch solche Beziehungen. Mir geht es um die Intimität der Beziehungen und darum, dass Begegnungen freigemacht werden von dem öffentlichen Druck, Ergebnisse

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