Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
die friedliche Überwindung von Konflikten. Wenn wir über Abrüstung sprechen, so ist diese Sicherheitsphilosophie von dem Ziel geleitet, durch Reduzierung und durch vereinbarte Begrenzung der Rüstungsanstrengungen immer mehr Stabilität in den internationalen Beziehungen herbeizuführen. Es ist offenkundig, dass zu dieser Betrachtung auch gehört, durch eine Kontrolle und eine zunehmende Beschränkung von Rüstungsexporten eine weitere Militarisierung der internationalen Beziehungen zu vermeiden und die Stärkung von Unterdrückersystemen durch Förderung ihrer militärischen Fähigkeiten zu verhindern.
LINDNER
In Deutschland sind die Forderungen der FDP , insbesondere auch die nukleare Rüstung zu reduzieren, verschiedentlich als naiv zurückgewiesen worden. Dann kam aber Obama mit seiner Vision von »Nuclear zero«. Dieses Ziel hat er ja unlängst wieder unterstrichen.
GENSCHER
Wir dürfen einen Harmel-Grundsatz nie vergessen: Rüstungskontrolle und Abrüstung sind integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Das war und das bleibt eine Absage an die alte Theorie, mehr Rüstung schaffe mehr Sicherheit. Der Harmel-Bericht wies in die umgekehrte Richtung.
Das hat Bedeutung für die konventionelle Abrüstung, aber diese Bedeutung muss es auch für die nukleare Abrüstung bekommen. Deutschland hat auf Massenvernichtungswaffen völkerrechtlich verzichtet. Das gibt uns eine besondere Legitimation, die Betroffenen – also alle Atommächte – zu nuklearer Abrüstung aufzufordern. Es könnte der Tag kommen, da es durch eine weitere Ausbreitung der Atomwaffenbesitzer zu spät ist. Der neuerliche Vorschlag von Präsident Obama verdient deshalb unsere uneingeschränkte Unterstützung. Sein Vorschlag könnte der erste Schritt sein, andere müssen folgen.
LINDNER
Sie waren schon in den frühen fünfziger Jahren für einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland, also für die Aufstellung der Bundeswehr. Wie sehen Sie das heute?
GENSCHER
Der deutsche Beitrag zur westlichen Sicherheit war entscheidend für die Schaffung einer leistungsfähigen Allianz in Europa, also der NATO , und damit auch für die Stabilität in Europa. Ein neutralistisches Deutschland wäre zum Faktor der Unsicherheit und Unberechenbarkeit geworden und zum Spielball der Mächte. Angesichts der damals aggressiven sowjetischen Politik wäre Deutschland zu einem Gefahrenherd geworden. Mit dem Beitritt zur NATO hat Deutschland Berechenbarkeit geschaffen und damit auch Vertrauen – Letzteres im Grunde auch in Moskau. Inzwischen wissen wir, wie entscheidend die Aufstellung der Bundeswehr für die westliche Verteidigung war, ist und bleibt. Die Soldaten der Bundeswehr haben in jeder Hinsicht das in sie gesetzte Vertrauen gerechtfertigt. Die Bürger in Uniform – unsere Soldaten – wurden nicht zum Staat im Staate, sondern die Bundeswehr wurde zu einem integralen Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft. Sie wird das auch in Zukunft als Freiwilligensarmee bleiben. Demokratischer Standort und Einsatz unserer Soldaten und die Belastung für ihre Familien schaffen eine Bringschuld der Gesellschaft in der Anerkennung ihrer Leistung. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Auch das ist Ausdruck unserer wehrhaften Demokratie. Das frei gewählte deutsche Parlament entscheidet über ihren Einsatz. Das überträgt dem Parlament eine große Verantwortung. Diese Verantwortung umfasst auch die Sicherstellung einer ausreichenden Ausbildung, Ausrüstung und Bewaffnung für die Erfüllung des vom Parlament erteilten Auftrages. Es ist offenkundig, dass hier noch mancher Nachholbedarf besteht.
Lieber Herr Lindner, ich muss hier einen Augenblick innehalten, wenn ich daran denke, dass ich noch als halbes Kind von einem verbrecherischen System in einen ebenso verbrecherischen Krieg geschickt wurde. Das war eine andere Welt, eine Welt, die sich nie wiederholen darf. Ja, es war eine andere Welt, als die Welt des Soldaten Christian Lindner, der es in der Bundeswehr zum Hauptmann der Reserve brachte.
»Eine Zeit neuer Selbstbesinnung der Deutschen«
LINDNER
Sind Sie denn der Meinung, dass Deutschland nach der Wiedervereinigung seiner Rolle in Europa und der Welt bisher gerecht geworden ist?
GENSCHER
Wir sind mit unserem Gespräch an einem zentralen Punkt für die außenpolitische Debatte in Deutschland angekommen. Wenn Sie die Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart betrachten, so ist es der Weg aus der totalen moralischen
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