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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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Selbsterniedrigung und der unumkehrbaren militärischen Niederlage im Jahr 1945 . Der Weg seitdem ist gekennzeichnet von dem Bemühen um neues Vertrauen für Deutschland in Europa und in der Welt. Zugleich ist es eine Zeit neuer Selbstbesinnung der Deutschen. Sie, die über lange Zeit mit der Frage nach der friedlichen Vereinigung der Nation befasst waren, finden sich heute wieder in einer ihnen zugewachsenen Bedeutung für das Schicksal Gesamteuropas, wie sie sie vorher niemals gekannt haben. Man könnte sagen: Nach einem langen Irrweg haben die Deutschen zu sich selbst gefunden und damit auch ihren Platz in Europa eingenommen. Dort, wo die Deutschen von Anfang an nach dem Zweiten Weltkrieg ihre demokratischen Rechte ausüben konnten, haben sie drei fundamentale Grundsatzentscheidungen getroffen.
    Erstens: Das unumkehrbare Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie und zu Menschenrecht und Menschenwürde. Die Deutschen in der DDR haben mit ihrer friedlichen Freiheitsrevolution von 1989 diese Entscheidung nicht nur nachvollzogen, sondern mit der ersten gelungenen Freiheitsrevolution der deutschen Geschichte auch historisch legitimiert.
    Zweitens: Mit der Zugehörigkeit zur Gründergruppe des neuen Europa zunächst der Europäischen Gemeinschaft der Sechs und zur NATO hat Deutschland seine Hinwendung zur westlichen Wertegemeinschaft unumkehrbar vollzogen. Diese Entscheidung hat Bedeutung für den ganzen Kontinent. Es muss Deutschland deshalb immer bewusst sein, dass sich darin seine europäische Verantwortung ausdrückt und dass diese europäische Verantwortung auch in Zukunft, das heißt für immer, bestehen wird.
    Drittens schließlich hat die Bundesrepublik Deutschland, und nun – 1990  – für alle Deutschen handelnd, mit der Anerkennung der Oder/Neiße-Grenze völkerrechtlich verbindlich und ohne jede Einschränkung und ohne jeden Vorbehalt die deutsche Geschichte angenommen. Der Vertrag vollzog, was Willy Brandt mit seinem historischen Kniefall in Warschau bekundet hatte. Das und der Grenzvertrag von 1990 war weit mehr als die endgültige und völkerrechtlich verbindliche Akzeptanz der deutschen Ostgrenze. Es war natürlich ein deutsch-polnisches Ereignis, aber es war mit der Annahme der deutschen Geschichte auch die Annahme der Verantwortung und der Folgen aus dem Gesamtverbrechen Hitler-Deutschlands. Mit diesem Vertrag überwanden die Deutschen jegliche Selbstgerechtigkeit. Sie bekannten sich zu dem Wort, das Theodor Heuss am Tage seiner Wahl zum ersten Bundespräsidenten ausgesprochen hatte: Gerechtigkeit erhöht ein Volk.
    Herr Lindner, hier haben wir das moralische Fundament für das künftige Bemühen Deutschlands, in der Europäischen Union für Europa und mit Europa eine Weltordnung zu schaffen, die überall in der Welt als gerecht empfunden werden kann. Von dieser Grundlage aus haben wir unsere Verantwortung anzunehmen. Von dieser Grundlage aus haben wir die Konsequenzen für unsere Politik in einer sich grundlegend verändernden Welt ständig neu zu bestimmen. Hier ist wichtig zu erkennen: Diese Herausforderung ist keine besondere Deutschlands, denn alle Völker stehen vor der gleichen Herausforderung.
    LINDNER
    Sämtliche außenpolitischen Fragen, über die wir hier sprechen, stehen im Zusammenhang mit Entscheidungen des Weltsicherheitsrates. Sind Sie der Meinung, dass Deutschland sich um einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat bemühen sollte? Ich bin in dieser Frage skeptisch.
    GENSCHER
    Ich rate von einem solchen Bemühen ab. Natürlich bedarf die Zusammensetzung des Weltsicherheitsrates einer grundlegenden Reform. Er spiegelt in der Zusammensetzung der Ständigen Mitglieder die Welt von 1945 wider, aber nicht die Welt am Anfang des 21 . Jahrhunderts. Es fehlt die größte Demokratie der Welt: Indien. Es fehlen Staaten wie Brasilien, Argentinien oder Mexiko. Es fehlt Afrika. Es fehlt die arabische Welt. Es fehlen die ASEAN -Staaten. Kurzum, die Reform muss die neue Gewichtung der Weltregionen widerspiegeln, das heißt, die Vertretung großer Staaten aus allen Weltregionen und regionale Zusammenschlüsse aus allen Weltregionen müssen ihren Platz im Sicherheitsrat finden. Deutschland sollte sich zum Sprecher einer solchen Reform des Weltsicherheitsrates machen, und es sollte sich ausreichend vertreten fühlen durch die Europäische Union mit einem Ständigen Sitz.
    Natürlich müssen davon die Sitze von Frankreich und Großbritannien unberührt bleiben. Sie sind als Ständige Mitglieder seit

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