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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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bemächtigte eine merkwürdige Traurigkeit sich seiner, und nicht nur eine merkwürdige, sondern auch eine ihn verwirrende. Selbst er war demnach kein Wesen, das nur sachlich und zielgerichtet geschäftelte. Selbst er war von der einen oder anderen auf Gefühlsduseligkeit basierenden Schwäche durchdrungen. Gewiß, Heiner Jagielka hatte seine geheimen, ihm womöglich selber nicht bewußten Wünsche, und sein vielleicht größter versteckter Wunsch war es, sich endlich einmal jemandem mitzuteilen: Sein Erzeugnis, es mochte ja aussehen wie alle anderen Erzeugnisse der gleichen Art – aber die Methode, es herzustellen, die war doch eine besondere und geniale! Wie lange drängte es ihn schon, von seiner im verborgenen blühenden Ruhmestat Bericht zu geben! Es war, als habe er nur auf einen Zuhörer gewartet. Und jetzt hatte ihm der Zufall dieses reizende Geschöpf hier herangeweht. Er mußte es jetzt darüber aufklären, daß sein »Luxus« allein nichts bewirken würde, er mußte, Heiner Jagielka platzte fast vor unterdrücktem Stolz.
    Er zog Karin Werth am Ärmel: »Kommen Sie, ich will ehrlich sein, denn ehrlich währt am längsten, nicht wahr, ich will Ihnen alles zeigen, alles.«
    Sie war nicht wenig überrascht von dem plötzlich ausgebrochenen Eifer und ließ die folgende, wortreich untermalte Führung belustigt über sich ergehen.
    »Hier«, Heiner Jagielka wies auf einen Stapel großer Zuckersäcke, »wissen Sie, was Menschen und Blumen voneinander unterscheidet, wissen Sie’s? Blumen können nicht Diabetes kriegen. Blumen schlucken jede Menge Zucker, also löse ich ihn auf, ein Zentner auf vier Quadratmeter Fläche. Und hier … destilliertes Wasser, darin waschen sich die Blumen sozusagen, tja, uns mag Wasser aus dem Brunnen genügen, ihnen nicht, deshalb riechen sie dann auch besser als wir …«
    »Und hier«, unterbrach Karin Werth ihn mit einem spöttischen Lächeln, »hier haben Sie wohl Ihre täglichen Einnahmen deponiert?« Sie zeigte auf einen großen grünen Spind, der durch ein klobiges Schloß gesichert war.
    Heiner Jagielka antwortete äußerst bescheiden: »Meine Einnahmen, ach, die sind kaum der Rede wert. Sie ahnen doch jetzt meine horrenden Unkosten, Sie ahnen sie doch jetzt!« Sodann öffnete er den Spind. Zum Vorschein kamen bauchige grüne und braune Flaschen, auf denen lateinische Beschriftungen klebten. »Diese Ingredienzen«, hob er nun, nicht ohne Pathos, zu erklären an, »möchte ich als die wichtigsten meiner Manufaktur bezeichnen, es sind sieben Stück«, plötzlich aber stockte er, plötzlich war sein Eifer verpufft, das kam, weil er seinen eigenen Worten nachhorchte, die wichtigsten Ingredienzen, da hatte er absolut nicht übertrieben, und wie er sie mischte, das war nichts weniger als der Kern seines Erfolgs, wollte er den tatsächlich offenbaren?
    »Die kommen also auch in die Badewannen?« fragte Karin Werth arglos.
    »Welche Badewannen?« fragte Jagielka zerstreut.
    Sie zeigte sie ihm. Sofort blühte er wieder auf: »Hehe, Badewannen, das ist gut, das muß ich mir merken, apropos Wanne, apropos Wasser, sehen Sie mal nach oben, was geschieht da?«
    Karin Werth kniff die Augen zusammen und erkannte: »Es regnet. Es regnet aufs Gewächshausdach.«
    »So, und von woher, meinen Sie, regnet es?« Voller Selbstgefühl drückte er seine Brust hervor.
    »Na, vom Himmel, von wo sonst?«
    »Dann müßten da also lauter Löcher im Scheunendach sein, oder?« Heiner Jagielka bebte fast vor Freude und rief: »Da sind aber keine. Da sind keine. Denken Sie vielleicht, ich hätte die nicht längst gestopft? Ich lasse es regnen, ich selber bin es. Der vorerst letzte Baustein in meinem System. Meine neueste Erfindung. Über der Folie, die Sie sehen, ist nämlich noch eine Folie gespannt. Und dazwischen habe ich eine Sprenkleranlage installiert. Durch den feinen Regenfilm dringt so gut wie keine Kälte mehr. Auf diese Weise spare ich 90 Prozent der Heizkosten. Ich schenke mir den ganzen verdammten Aufwand, der nötig ist, um Koks zu besorgen. Nichts ist schwieriger in diesem Land, als an Koks heranzukommen. Und deshalb, Fräulein, regnet’s hier, und zwar Tag und Nacht.«
    Bei den letzten Worten Jagielkas hatte sich eine gewisse Erschöpfung auf dem Gesicht seiner Besucherin breitgemacht. Jetzt verlangte sie müde nach einem Stuhl.
    Jagielka stülpte irritiert eine der dreckigen Gemüsekisten um, in denen er seine Blumen transportierte. Er war ein Schlawiner, und wie in jedem Schlawiner steckte

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