Brüder und Schwestern
einen gefährlichen Unhold vor sich.«
»Ich habe mich breitschlagen lassen«, murmelte sie, »von Ihnen und Ihren ausschweifenden Erklärungen. Ich hätte mich schofelig gefühlt, wenn ich einfach gegangen wäre. Ich wollte ja gehen! Aber Sie sind ein Händler, Sie geben einem was, und man kann nicht anders, als Ihnen dafür auch was zu geben. Und schon sitzt man in der Tinte.«
Diese Erklärung hörte Heiner Jagielka ausgesprochen gern, denn wie jeder Mensch liebte er es, wenn man seine verborgenen Vorzüge erkannte und hinreichend würdigte. Gleichzeitig aber fühlte er sich in ein völlig falsches Licht gerückt, weshalb er abermals bekümmert schaute.
»Lassen Sie Ihren Hundeblick! Sie erweichen mich nicht mehr! Wie ich am Anfang sagte: Alles ist ominös an Ihnen, alles! … Wo sind eigentlich Ihre vielen Blumen? Das heißt, wo gehen die eigentlich hin? Richtig, diese Erklärung sind Sie mir noch schuldig. Denn das ist ja überhaupt das Ominöseste: Erst überfluten Sie Gerberstedt mit Ihren abscheulichen roten Nelken, und dann sind Sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und mit Ihnen Ihr … Ihr Zeug! Sie liefern wohl nur noch für den Hof, was?« Karin Werth war in einen anklagenden, ungerechten Ton verfallen, der den bedauernswerten Jagielka erschreckte und sie selber auch.
Sie entschuldigte sich mit einem zaghaften Lächeln. Worauf Heiner Jagielka heftig errötete. Aber stimmt das denn? War er, genaugenommen, nicht schon vorher, während sie gewütet hatte, errötet? Ja, vorher schon. Und das passierte ihm, weil Karin Werth mit ihrer Anklage, er liefere wohl nur noch für den Hof, der Wahrheit erstaunlich, um nicht zu sagen, bedrohlich nahe gekommen war. Er fühlte sich ertappt.
Heiner Jagielka sprang auf und verschloß, um irgend etwas zu tun, den großen Chemikaliensafe. Währenddessen überlegte er fieberhaft: Das Fräulein hatte ihm soeben genau die Frage gestellt, die er die ganze Zeit gefürchtet hatte. Und es hatte sie sogar schon halb beantwortet. Wäre es doch bloß gegangen! Statt dessen hatte er es zum Bleiben gezwungen, und wozu? Nur damit es eine lächerliche, nichtige Animosität zum besten geben konnte. Da ging’s bei ihm nun wahrlich um andere Beträge, um ganz andere. Aber das Fräulein, war es nun nicht schon halb ins Vertrauen gezogen? Es hatte auch etwas Treuherziges und Anständiges, selbst in der Wut. Es schlug einen in seinen Bann damit, tatsächlich, man mußte ihm jetzt alles erzählen, man war es ihm irgendwie schuldig, diesem reizenden Geschöpf.
Heiner Jagielka rückte seine Obstkiste zu Karin Werth heran und setzte sich wieder, so nahe vor sie, daß sich ihre Knie fast berührten. Dann hielt er eine längere, wahrhaft märchenhafte Rede: »Liebes Fräulein, ich würde eine schlechte Meinung von mir bekommen, wenn ich Ihnen jetzt nicht auf Ehre und Gewissen antwortete … Ich sehe Sie die Stirn runzeln, nun, runzeln Sie ruhig, runzeln Sie, ich weiß ja, ich erwecke nicht den Eindruck, als hätte ich Ehre und Gewissen. Manchmal dachte ich auch schon selbst, mir fehle da was, aber als Sie, als Sie eben sagten, sie hätten sich schofelig gefühlt, wenn Sie gegangen wären, da haben Sie mich sozusagen gepackt, und es ist der seltsame Umstand eingetreten, daß jetzt unweigerlich ich mich so fühlen würde, wenn ich Ihnen ausweichen würde. Man darf bestimmten Menschen nicht ausweichen, und Sie, Sie sind so ein Mensch! … Nein, hören Sie weiter, hören Sie nur weiter, denn ich komme ja schon zu den Blumen. Sie erwähnten den Hof, nicht wahr? Es war folgendermaßen … es trug sich also zu, daß ein kleiner Gärtner bei Hofe vorsprach, denn er hatte eine Idee, die er für großartig hielt. Aber als er dann im Gemach des Provinzfürsten stand, war ihm sehr, sehr mulmig, denn jener Fürst galt als unberechenbar, hinterhältig und grausam. Deshalb gedachte der Gärtner, ihn durch eine milde Gabe gewogen zu stimmen. Wenn man es hart ausdrückt, könnte man natürlich auch sagen, er habe versucht, den Fürsten zu bestechen. Sie wissen schon, wodurch, Fräulein, Sie sind darüber schon im Bilde, die vielen Nelken am Tag der Schuftenden! Der Gärtner verschenkte sie alle, um fortan die Provinz mit seinen Waren beliefern zu dürfen. Dies also, das möchte ich ausdrücklich betonen, war sein einziges Ansinnen! Nun trat aber eine überraschende Wendung ein. Es begab sich nämlich, daß der Provinzfürst wegen diverser wichtiger Angelegenheiten zum König gerufen wurde. Während
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