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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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jedenfalls in meinen Augen. Kein Abwägen, kein Erklären! Was du in deinem sonstigen Leben im Übermaß hast, ist dort in eurer Höhle nicht vorhanden, alles ganz einfach, wie früher.«
    »Es ist nicht alles einfach«, unterbrach Willy ihn wieder, »du hast ja keine Ahnung.«
    »Du meinst, weil ihr es verheimlichen müßt? Auch dazu habe ich meine Meinung, Willy, sie lautet: In Wahrheit kommt dir das Heimliche äußerst gelegen. Und warum kommt es dir gelegen? Weil das alles ein Abenteuer ist, wie du es im Grunde deines Herzens liebst. Deshalb mochtest du dich auch nicht mit Ausreden abmühen. Nicht aus Faulheit hast du versäumt nachzudenken, sondern um das Abenteuer nicht abzufedern und nicht zu entschärfen, nicht auch noch das, denn abfedern muß du doch sonst schon genug hier. Eigentlich ist das sogar dein Beruf. Ein staatlich geprüfter Abfederer bist du, in des Wortes doppelter Bedeutung!«
    In der Dunkelheit zeigten sich zwei rote Lichter, sie wurden immer kleiner und erloschen schließlich.
    »Da du von Abenteuer sprachst«, entgegnete Willy, »ich finde, deine Erklärungen sind geradezu abenteuerlich. Du tust ja so, als wären’s die zur Zeit nicht besonders zufriedenstellenden gesellschaftlichen Umstände, die mich in die Arme dieser Frau getrieben hätten. Das ist weit hergeholt, weiter geht’s ja gar nicht – oder doch, warte, man kann alles immer noch weiter herholen. Zu Veronika kam ich, weil Ruth mich abwies, richtig? Ruth wiederum wies mich ab wegen dieser unheilvollen Sache, die vor langer Zeit geschah. Warum aber geschah diese Sache? Weil vorher den Freunden noch ganz andere schlimme Sachen geschahen. Merkst du was? Ich bin schon fast bei der berühmten Reichstagswahl«, Willy reckte die Brust und ballte die Faust, er stellte den Kommunistenführer Thälmann nach, er deklamierte, »›wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, und wer Hitler wählt, wählt den Krieg!‹ Im Ernst, Achim: Man kann für alles eine Kette von Gründen knüpfen, und das Schöne daran ist, man fühlt sich am Ende immer entlastet, denn je weiter man in Gedanken zurückgeht, um so weniger Verantwortung bleibt übrig für einen selber. Ja, zurück mit der Schuld in die Vergangenheit, und weg von mir, weg von mir, denn in der Vergangenheit, da wird’s immer unpersönlicher. Schön für mich eigentlich, nicht wahr? Aber wir sind hier unter uns, Achim, und ich sag dir was: Indem du dich auf die Umstände stürzt, läßt du doch das Eigentliche beiseite – willst du nochmal hören, was das Eigentliche ist?« Herausfordernd schaute er drein.
    Achim seufzte.
    »Das Eigentliche, mein Lieber, ist Veronika Gapps Arsch, ich wiederhole extra für dich, nicht Adolf ist’s, sondern einzig und allein ihr Arsch!«
    Fiel da Achim dem Schrankenwärter noch was ein? Er lächelte nachsichtig, ein feiner Glanz in seinem schmalen Gesicht, der Willy sagte, Frieden …
    *
    Es war nun schon nach Mitternacht. Sie schwiegen eine Weile. Das alte schwarze Telefon mit der hohen Gabel, das Achim mit dem Fahrdienstleiter verband, klingelte. Achim nahm ab, sagte nach wenigen Sekunden, »verstanden, Nummer 3473 mit fünf Minuten Verspätung«, und legte wieder auf.
    Er räusperte sich und sagte: »Wenn du dumme Ausreden benutzt hast, so heißt das, Ruth weiß es und weiß es doch nicht. Das muß schlimm für sie sein, viel schlimmer, als wenn alles heraus wäre. So martert sie sich bestimmt immer weiter.«
    »Es ist nicht schlimmer. Es kann gar nicht schlimmer sein«, sagte Willy mit großer Überzeugung.
    »Wieso nicht?«
    Willy schüttelte den Kopf. Er goß sich wieder Wodka ein, nur, diesmal wirkte es, als trinke er, um nichts sagen zu müssen.
    »Ich will nicht in dich dringen, aber um Ruths willen: Wäre es nicht besser, diesen Schwebezustand, der sie doch zermürben muß, zu beenden und ihr reinen Wein einzuschenken?«
    »Das geht nicht, verdammt nochmal!« Und schon war Willy wieder verstummt.
    Achim schwieg, beobachtete ihn unausgesetzt: wie er sich auf die Lippen biß, wie er sein leeres Glas drehte, wie sein immer noch mächtiger Brustkorb sich hob und senkte.
    Endlich erwiderte Willy Achims Blick. Er fixierte seinen Freund, und dazu nickte er, als wolle er sich selber bestätigen, Achim habe eine plausible Erklärung verdient. Er sagte: »Ich will wenigstens dir reinen Wein einschenken. Die volle Wahrheit. Dann verstehst du vielleicht, daß ich sie Ruth nicht sagen kann. Es würde sie umbringen, wenn sie sie erführe. Damit habe ich schon

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