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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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er schrieb die Nummer des Zuges in eine Liste und strich sie durch wie ein Wirt, der das fünfte Pils auf einem Bierdeckel vermerkt; so verwahrlost er auch anmuten mochte in seinem botteligen Pullover und seinen schiefgelatschten Schuhen, seiner Tätigkeit ging er penibel nach, hing ja auch einiges dran an der.
    Währenddessen hielt Willy ihm die Flasche Wyborowa, die er mitgebracht hatte, vor die Nase: »Du auch?«
    Achim schüttelte den Kopf, kurze Frage, schnelle Verneinung, ihr festes Ritual, das sie nur selten durchbrachen, dann, wenn Achim meinte, der Anlaß erfordere es, wider jede dienstliche Regel und ungeachtet seiner grundsätzlichen Abneigung den harten Sachen gegenüber zumindest einen Wodka mitzutrinken. Zum bislang letzten Mal war das geschehen, als Jonas, der nach seiner Relegation von der Schule sich da und dort vergeblich beworben hatte, von Willy im »Aufbruch« als Lehrling untergebracht worden war. Achim bedankte sich damals mit einem hastigen Hinunterkippen des »Gesöffs«, wie er es nannte, und einem sekundenlangen Verziehen des Gesichts.
    Willy schluckte den ersten Wodka und erklärte ohne jede Einleitung, Ruth sei ihm auf die Schliche gekommen, weil sie ihm über längere Zeit hinterherspioniert habe.
    Achim fragte sicherheitshalber: »Dahingehend auf die Schliche gekommen, daß du außer ihr noch jemanden hast?«
    »Natürlich«, sagte Willy, »was denn sonst?«
    Achim nickte mitleidsvoll, wobei nicht klar war, ob sein Erbarmen Willy oder Ruth galt.
    »Und ich ärgere mich jetzt! Ich ärgere mich dermaßen, sag ich dir!«
    »Über Ruths Hinterherspionieren?«
    Willy goß sich wieder ein, stürzte den Wodka gleich wieder hinunter. »Ach was, das kann ich ihr nicht übelnehmen. Man muß schon fair sein. Sie ist doch nicht die Schuldige … obwohl, so ganz unschuldig ist sie auch nicht. Sie hat sich ja mir gegenüber viele Jahre wie …«, Willy hob die Hände und wedelte mit ihnen, als könne er damit das Wort heranziehen, das er suchte, »… wie ein Neutrum verhalten, du weißt das, ich habe dir davon erzählt. So viele Jahre, da landest du dann eben bei jemandem, der deinen Schwanz wertschätzt, um’s mal so auszudrücken. Der dir überhaupt erst wieder in Erinnerung bringt, daß du einen hast.«
    »Also du ärgerst dich nicht über ihr Spionieren. Worüber dann?«
    »Daß ich eben nicht imstande gewesen bin, was anderes hervorzubringen als dumme, offensichtliche Lügen. Ich hab doch gewußt, daß Ruth was ahnte, ich hab doch gewußt, alles würde einmal zum Ausbruch kommen bei ihr, und da es mir klar gewesen ist, hätte ich mich wappnen müssen. Mir eine Taktik zurechtlegen. Logische Ausreden bereithalten. Mögliche Gesprächssituationen durchspielen. Aber davon wollte ich nichts wissen.«
    Draußen, weit hinten auf dem Kamm des Feldes, zeigten sich zwei schwache kleine Punkte, helle Stecknadeln, die in wenigen Sekunden groß wie Knöpfe wurden. Als sie über die Gleise flogen, begannen sie zu wackeln und ihr flatterhaftes Licht an die Eichen zu werfen. Achim schaute ihnen hinterher und sagte aufmunternd: »Du bist zu ehrlich in der Lüge.«
    »Unfug«, entgegnete Willy, »es war mir zu anstrengend, mich damit zu beschäftigen, es widerstrebte mir, mich damit abzumühen, ich dachte mir, wird schon alles gutgehen.«
    »Das ist der alte Willy«, sagte Achim lächelnd.
    Willy schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Der alte Willy, also der junge, hat die Dinge auch nie durchgespielt, wenn ich mich recht erinnere. O ja, und ich erinnere mich gut. Dieser Willy hat einfach gemacht und getan, ohne Rückversicherung. Soll ich dir was sagen? Willy, ich dürfte dir das gar nicht sagen, weil ich auch Ruth mag und sie mir leid tut und ich dich ja hiermit durch die Blume auffordere, weiterhin Ehebruch zu begehen: Aber ich sage dir, du gefällst mir heutzutage immer dann am besten, wenn du von dieser Veronika erzählst. Da ist wieder die frühere Ursprünglichkeit und Unbedingtheit.«
    »Ist doch klar, warum«, unterbrach Willy ihn, »weil sie mich erregt, sobald ich sie seh, wir machen nicht viele Worte, wir ficken ja immer gleich!« Er hatte jetzt schon vier oder fünf Wodka intus.
    »Aber vielleicht ist es gar nicht der Sex allein, der dich beglückt?«
    »Was denn sonst?«
    »Vielleicht denkst du ja nur, daß es so wäre? Ich erinnere mich nämlich, wie oft du mir schon gesagt hast, daß ihr nicht viele Worte macht und im Grunde gar nicht so viel voneinander wißt. Und genau das ist’s –

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