Brüder und Schwestern
angedeutet, daß auch du noch nicht alles weißt. Was habe ich dir nämlich bisher erzählt? Daß Veronika Gapp eine Abmachung mit ihrem Mann hat, die es ihr erlaubt, sich mit mir zu treffen. Daraus folgert wiederum eine Abmachung zwischen Veronika und mir: Keiner von uns beiden stellt weitergehende Ansprüche an den anderen, denn wir sind beide gebunden, jeder auf seine Art. Wir behelligen einander auch nicht mit den Sorgen, die uns daheim oder auf Arbeit umtreiben; ohne daß wir uns je darüber hätten verständigen müssen, war das von Anbeginn klar. Veronika ist ja die rechte Hand eines meiner wichtigsten Vertragspartner, wir hätten da manches zu bereden, aber wir tun es nicht. Wir wollen diese Beziehung freihalten von allem, was ihr eine falsche Bedeutung gäbe. Sie hat ja Bedeutsamkeit nur in einem relativ engen Sinne, und gerade deswegen funktioniert sie so prächtig – weil wir die Beziehung nicht überfrachten und uns nicht überfordern. Gut, das weißt du alles, darüber habe ich dir schon hinreichend erzählt. Jetzt aber folgendes. Da ist noch eine zweite Abmachung zwischen Veronika und mir. Diese wurde sogar schriftlich fixiert. Ein Exemplar befindet sich bei ihr, eines bei mir. Genaugenommen handelt es sich dabei sogar um einen Vertrag, und in dem Vertrag, den wir also aufgesetzt haben, steht …«
Jetzt läutete aber die Glocke an der Außenwand des Bahnwärterhäuschens, die den nächsten Zug ankündigte. Achim warf mit einem Stöhnen seinen Kopf in den Nacken, murmelte, »der verspätete 3473«, und eilte zu der Kurbel. Vielleicht zwei Minuten darauf raste ein Güterzug vorbei, Willy hinterm Fenster drang er als wahnwitzig schnelle Folge riesiger platzender Kapseln schmerzhaft ins Ohr.
»In dem Vertrag steht …«, wiederholte Achim, kaum daß er wieder saß.
»Ach was, zum Vertrag später, wichtig ist nur, Veronika und ich haben zusammen ein Kind!«
»Ein Kind«, wiederholte Achim fassungslos.
Willy nickte.
»Ja aber … wie … ein Kind … ein Vertrag … warte mal«, stammelte Achim. Er erhob sich, lief in die Ecke zum Waschbecken, neben dem ein Schemel mit Geschirr stand, nahm ein Saftglas und stellte es vor Willy neben die Wodkaflasche.
Willy schaute ihn dankbar an, schenkte ihm ein, klärte ihn nun endlich vollends auf: »Das ist die zweite Vereinbarung. Wir haben sie gleich am Anfang getroffen. Und auch sie beruht, wie die erste, auf der ausdrücklichen Zustimmung von Veronikas Mann. Er kann ihr ja kein Kind machen. Aber sie wollte eins, von mir dann natürlich. Insofern war es nicht ganz korrekt, was ich eben sagte. Es wurden drei Exemplare des entsprechenden Papiers angefertigt. Das dritte befindet sich bei dem Mann, Holger Gapp. In allen ist nun also festgeschrieben, daß ich, das Kind betreffend, weder Rechte noch Pflichten habe. Folglich dürfen keine finanziellen oder sonstwelche Forderungen an mich gestellt werden. Mir wiederum ist versagt, das Kind zu sehen, es sei denn, Veronika und ihr Mann stimmen dem ausdrücklich zu.«
»Und damit kommst du klar, darauf hast du dich eingelassen?« fragte Achim entsetzt. Sein Glas hatte er noch nicht angerührt.
»Trink«, forderte Willy ihn mit finsterer Miene auf. Achim tat wie geheißen, verzog diesmal nicht das Gesicht, starrte Willy nur an.
»Darauf habe ich mich eingelassen, ja. Weil es seine Logik hat«, sagte Willy.
»Logik«, wiederholte Achim in verächtlichem Tonfall.
»Welche andere Möglichkeit hätte es gegeben? Ist es nicht Veronikas gutes Recht, ein Kind zu haben wie jede andere Frau? Und ist es nicht selbstverständlich, daß es von mir stammt, der doch gewissermaßen ihr Partner ist, in dieser Hinsicht? Und ist es nicht normal, daß ich, um das Kind nicht zu verwirren, nun besser nicht in Erscheinung trete und nicht in die Familie dränge, in der es aufwächst? Ich frage dich noch einmal – welche andere Möglichkeit hätte es gegeben?«
»Die Finger ganz von dieser Angelegenheit zu lassen! Du siehst doch, du stürzt dich nur ins Unglück! Und andere, Willy, und andere!«
»Vorhin hast du genau umgedreht argumentiert. Veronika war da noch ein Segen für mich …«
»Weil ich nichts von dieser herzlosen Abmachung wußte, nur deshalb!«
»Noch einmal, sie ist nicht herzlos. Sie ist das Bestmögliche unter den gegebenen Umständen. Aber wenigstens weißt du jetzt, warum ich Ruth nichts beichten darf. Sie würde das alles nicht verstehen, sie würde verrückt werden.«
Willy schenkte ihnen beiden nach. Die Flasche
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