Brüder und Schwestern
schnappte sich jetzt ein Seil. Er befestigte es am vorderen Poller der Steuerbordseite, plazierte das Brett auf der Schiffswand, stieg ebenfalls dort hinauf, schlüpfte in die Stiefel und stürzte sich, nicht ohne vorher seine Faust in Richtung der gewaltigen dampfenden Pfanne gestoßen zu haben, in der seit dem Morgen das verdammte gelbe Ei brutzelte, mit lautem Gebrüll ins Wasser. Und was soll man sagen: Er landete perfekt auf dem Brett, er versank kurz, das war schön für ihn, das war ja so erfrischend, und schon straffte sich das Seil, das er hielt, und Peter der Kräftige, Peter der Nasse ritt auf dem Wasser, auf der Welle, die die »Barby« fortwährend aufwarf, er skalpierte sie mal da, mal dort, kein Problem, sie wuchs ja gleich wieder nach, er ließ mit der rechten Hand das Seil los und beschrieb mit seinem freien Arm einen weiten Schwung, ein Cowboy auf See, überallhin schickte er seine fast schon orgiastischen Schreie, und siehe, jetzt näherte sich ihm ein Kajütboot, straks hielt es auf ihn zu, irgendwer wollte sich das ungewöhnliche Schauspiel von nahem betrachten, ein Pärchen, wie sich herausstellte, es klatschte ihm Beifall, wobei der schon etwas ältere, ein Matrosenhemd tragende Mann hinter der noch jungen, mit einem federleichten bunten Rock und einem ebenso bunten Bikinioberteil bekleideten Frau stand, beide Arme eng an ihrem Hals vorbeiführte und seine Hände vor ihrem Kinn zusammenschlug. Und Peter grüßte lachend mit einem verwegenen Beckenkreisen, und die beiden winkten zurück, sie hatten wohl verstanden und drehten ab, und er verabschiedete sich mit einer Verbeugung, danke meine Dame, danke mein Herr, und auch selber viel Vergnügen noch. Er widmete sich wieder ganz der schmalen wandernden Wulst, auf der er so sicher stand, als wär’s ein breiter Erdwall, er gab Leine und glitt von der »Barby« weg und machte eine Wendung und flog wieder heran, und nochmal, und nochmal, und als ihm langsam die Arme schwer wurden und die Knie weich, als er endlich genug hatte, stieß er einen gellenden Pfiff aus, einen, mit der er die ihn umflatternden Möwen so ruckartig in die Höhe trieb, als hingen sie an Fäden und jemand zöge daran, und Matti drosselte die Maschine und schaltete auf Leerlauf. Langsam verlor sich die Welle. Peter sank bis zum Kopf ins Wasser. Dann schwamm er zu dem Kahn und hangelte sich heftig schnaufend und überaus beglückt an Bord.
Matti hatte alles lächelnd verfolgt. Er mochte das Kernige und im besten Sinne Einfache Peter Schotts und beneidete ihn manchmal sogar darum; so wie Peter das Ernsthafte und Träumerische Mattis mochte, das sich hier auf der »Barby« noch verstärkt hatte. »Na, Schwerenöter«, sagte er nicht selten im Vorbeigehen, wenn er Matti abends am Liegeplatz oder auch zu freien Zeiten während der Fahrt einfach nur sitzen und in die Luft starren sah, und dabei klang Zuneigung durch, aber auch eine Spur Unverständnis: Wie kann man denn nur so sitzen und starren!
Oh, man konnte. Man dachte nach und wurde melancholisch, allein schon, weil einem einfach keine Frau begegnete, die an die erste heranreichte, tja, sie hatte für höchste Maßstäbe gesorgt, jene erste, und wenn ihr Bild in Mattis Kopf auch diffuser geworden war, so hielt sich doch in seiner Erinnerung klar und deutlich das Maß an Erregung, das sie gesetzt hatte. Auch ihr koketter Spruch, es würden noch bessere Frauen kommen, hallte nach wie am Tag, da sie ihn in die Welt gesetzt hatte; Matti wußte, es war nicht mehr als ein Spruch, aber er nahm ihn trotzdem ernst und verglich jede Frau, die er traf, unwillkürlich mit Karin Werth, und war enttäuscht, weil sich keine als besser erwies. Zugleich beglückte ihn das. Ein Teil von ihm wollte gar nicht, daß Karin vom Thron gestoßen würde, ein Teil von ihm wollte schmachten und schwelgen, und das war doch einigermaßen kindisch und trotzköpfig, das war so unreif, daß jeder, der mit dem verantwortungsvollen und weitsichtigen Schiffsführer Werchow zu tun hatte, stark verwundert gewesen wäre, wenn er davon gewußt hätte.
Genausogut konnte es aber sein, daß man saß und starrte und reineweg nichts dachte, oder nichts zu denken meinte, und darüber auch melancholisch wurde. Wohltuend, es im Hals, an einem genau bestimmbaren Punkt unterhalb des Adamsapfels, kribbeln zu spüren. Matti verstärkte das Kribbeln, indem er mit dem Daumen leicht auf den Punkt drückte; eine Intimität, die ihm gerade ihrer Zartheit wegen so ungeheuerlich
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