Brüder und Schwestern
Vater, schoß es Jonas durch den Kopf, kein Zweifel, das war Aziz.
»Was ist ereignet bitte?« fragte Aziz den Bewacher streng.
Dieser keuchte mit einemmal wie Jonas. Er suchte nach einer Erklärung, das war offenkundig, so wie es auch offenkundig war, daß er Jonas nur freigegeben hatte, weil er durch Aziz’ Aussehen und Sprache verwirrt worden war. Dies war ein Ausländer, und er, der Bewacher, traute sich vor dessen Augen nicht zu schalten und zu walten wie er wollte, denn nichts von dem, was hier geschah, durfte doch bekannt werden, schon gar nicht im Ausland.
»Herr Felgentreu sollte nach Hause begleitet werden«, fiel ihm schließlich ein zu sagen, »aber er …« Und nun wußte er nicht mehr weiter.
»Warum Herr Felgentreu sollte nach Hause begleitet werden?« fragte Aziz verwundert.
»Es gibt … gewisse Gründe.«
»Was für Gründe? Und überhaupt Sie sind wer?«
»Das spielt keine Rolle.« Der Aufpasser fühlte sich in die Enge getrieben, wich Aziz’ Blick aus.
Da griff Jonas in das Gespräch ein. »Er ist von der Firma«, sagte er geradeheraus.
Aziz schaute verständnislos von einem zum anderen.
Jonas lächelte spöttisch: »Horch und Guck. Sie haben heute hier Großeinsatz, weil …«
»Ich untersage Ihnen, sich darüber zu äußern«, rief der Bewacher dazwischen. Seine zitternde Stimme verriet Zorn und Angst. »Und zwar untersage ich es Ihnen ausdrücklich, ansonsten … ansonsten werden Sie die Folgen zu spüren bekommen!«
Aziz wollte etwas einwenden, aber Catherine legte ihm die Hand auf den Arm und sagte zu dem Bewacher: »Was auch immer geschehen ist, wir«, sie wies auf Aziz, »würden Herrn Felgentreu gern ins Café einladen, um ein wenig mit ihm zu plaudern.« Sie machte eine abwehrende Geste mit der Hand: »Nicht über Sie oder … was auch immer es ist. Nur über uns. Wir sind alte Freunde und haben uns ewig nicht gesehen, verstehen Sie?« Catherine vermied alles Angriffslustige wie auch alles Süßliche, sie war in diesem Moment an Sachlichkeit nicht zu übertreffen, diese Catherine hatte allem Anschein nach ein rechtes Gespür dafür, was gerade gefragt war.
Der Bewacher legte seine Stirn in Falten und trat nervös von einem Bein aufs andere. »Dann gehen Sie«, sagte er schließlich. Er schüttelte den Kopf, wohl, weil er der Frau ihren Wunsch ja kaum hätte abschlagen können, ohne daß der selbstsichere Ausländer auf die Barrikaden gegangen wäre.
Im »Schoko + Vanille« war es menschenleer. Auf einem der beiden Tische am Fenster dampfte noch der Kaffee, den Catherine und Aziz kurz vor ihrem Herausstürzen serviert bekommen hatten. Die drei nahmen dort Platz, aber kaum saßen sie, erschien auch schon Jonas’ Schatten und ließ sich auf einem Stuhl am Nebentisch nieder. Sein linker Arm berührte beinahe Jonas’ Rücken.
Die Kellnerin kam, und Jonas bestellte einen Kaffee, und der Bewacher ebenso. Als sie weg war, beugte Jonas sich nach vorne und sagte leise: »Eigentlich sollte der mir ja ein Eis spendieren, daran entzündete sich …«
Catherine brachte ihn zum Schweigen, indem sie den Mund verzog und mit den Augen rollte. Außerdem sagte sie schnell und laut: »Ich muß euch ja noch vorstellen, ihr seid euch ja noch gar nicht begegnet, nicht? Also, das ist mein Vater, und das ist Jonas, ein Freund aus der Schulzeit.« Ihr lag auf der Zunge, für ihren Vater hinzuzufügen, Jonas sei früher einmal mit der ihm gut bekannten Britta Werchow zusammengewesen, aber sie versagte es sich im letzten Moment.
Jonas erfuhr jetzt, daß Catherine in Berlin Medizin studierte und Aziz wie jedes Jahr die Weihnachtszeit mit Marieluise und Catherine verbracht hatte und sich heute den letzten Tag in Gerberstedt aufhielt. Daraufhin fragte Jonas, wie das Studium denn laufe. Anstrengend und schön sei es, antwortete Catherine, da tat er, als freue er sich. Aber er freute sich nicht, das merkte sie, und so erkundigte sie sich, um auf ein anderes Thema zu kommen, bei ihm nach Matti, und er berichtete, der sei nun schon Schiffsführer und schippere mit seinem Kahn durch die Republik. Jedoch wurde schnell deutlich, daß Jonas weniger wußte als sie selber, die durch Britta immer gut informiert war; kurzum, das ganze Gespräch verlief recht zäh, weil immer eine Klippe umschifft werden mußte, vor allem aber, weil man ja direkt in die Ohren des Aufpassers hineinsprach. Durch seine penetrante Anwesenheit verschloß er allen den Mund, als letztem Aziz, der, als er sich bemühte, Jonas von
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