Brüder und Schwestern
bildete. Das Ganze erinnerte mich an eine in die Landschaft geworfene geometrische Zeichnung. Und so still wie ein Blatt Papier lag auch alles da; oder mir schien es nur so, befand ich mich doch beinahe überm Fluß und hörte ihn laut rauschen, gurgeln und quirlen. Wahrscheinlich übertönte er alle von der Insel herüberwehenden Geräusche. Ich verließ den Hügel wieder und wollte mich schon auf den Weg zurück in die Stadt machen, um dem Obersten die Vergeblichkeit meiner Suche zu gestehen, ich malte mir schon diese Peinlichkeit aus und die Strafe, die folgen würde, als ich, noch abwärts laufend, auf etwas Hartes trat. Ich untersuchte die Stelle und gewahrte eine Türkante. Ich war, mitten in der Wildnis, auf eine Tür gestoßen! Ich fuhr mit dem Finger bis zur Angel. Sie erwies sich als gut geölt, denn als ich meine Fingerkuppen besah, glänzten diese braunschwarz und schlierig. Vor der in den Abhang eingelassenen Tür bogen sich Haselnußzweige. Ich drückte die Zweige zur Seite, woraufhin etwas Seltsames geschah. Sie schnellten nicht wieder zurück, sondern blieben in der Stellung, in die ich sie gebracht hatte. Ich bog sie wieder vor die Tür. Und siehe, abermals verharrten sie steif und starr. Ich fingerte an ihnen herum und untersuchte ihre Beschaffenheit, konnte aber nichts Besonderes entdecken. Verwirrt ließ ich von ihnen ab und öffnete vorsichtig die Tür. Das erste, was ich, in vielleicht fünfzehn Metern Entfernung, bemerkte, war ein Feuer. Es erhellte einen dahinter beginnenden schmalen, sich in Schwärze verlierenden Wasserkanal. Das leise Prasseln des Feuers und das ebenso leise Plätschern des Wassers vermengten sich zu einem Geräusch, das mich den Atem anhalten ließ. Oder war es das gespenstische Halbdunkel, aus dem das Geräusch kam? Wer weiß. Langsam erhob sich hinter dem Feuer, und vor dem Wasser, eine Gestalt. An ihrem Oberschenkel blitzte etwas Langes, leicht Gebogenes. Mir kam der Gedanke, es handle sich um einen vom Lichtschein auf absonderliche Weise kenntlich gemachten gewaltigen Muskelstrang. Doch war es, wie sich mir bald erschloß, ein Schwert. Die Gestalt hielt ihre Hand an dem Knauf des Schwertes und stapfte ebenso langsam, wie sie aufgestanden war, zu mir heran. Unwillkürlich wich ich zurück, mit zitternder Stimme fragte ich, ob ich den Fährmann vor mir hätte. Keine Antwort. Stumm näherte sich mir die Gestalt. Jetzt, da sich meine Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen begannen, erkannte ich, wie sie gekleidet war. Sie trug lange schwarze Stiefel, deren Schäfte ihr an den Unterleib schlugen, einen schwarzen Ölmantel, der wiederum bis zu den Schäften reichte, sowie einen ledernen schwarzen Hut, welcher kaum weniger breit war als die ausladenden Schultern der Gestalt. Bisher hatte ich nicht gewagt, ihr ins Gesicht zu sehen. Es war mir, als hätte ich mit dem Eintritt in den Tunnel mein bisheriges Leben, das akzeptabel, wenn nicht annehmlich gewesen war, annehmlich in seiner ruhigen Einsamkeit, gegen ein anderes, furchtsames eingetauscht. Aber ich durfte mich diesem Gedanken nicht hingeben, ich mußte meine Furcht ablegen. Ich mußte der Gestalt in die Augen blicken. Sie schauten überraschend gelangweilt. Sie waren stumpf und aschig. Und das konnte, wenn ich es mir recht überlegte, auch gar nicht anders sein. Der Fährmann, kein Zweifel, daß es sich um den Gesuchten handelte, war doch dazu verurteilt, die Wachen, und von nun an auch mich, Tag für Tag auf die Insel überzusetzen, wie sollte er da nicht ermüden und abstumpfen? Angesichts der Trostlosigkeit, die von ihm, dem Hünen, ausging, legte sich meine Furcht und machte sogar Mitleid Platz. Ich holte den Ukas des Obersten hervor, der mich als zugangsberechtigt auswies. Der Fährmann, dem mein Erscheinen wohl angekündigt worden war, hielt ihn sich kurz vor die Augen, händigte ihn mir umgehend wieder aus und stapfte zurück hinters Feuer. Ich folgte ihm und entdeckte auf dem Wasser ein Einbaum. Freilich wies es keinerlei Rundungen auf. Es war eckig und erinnerte mich an einen Sargboden. Der Fährmann hieß mich mit einer Handbewegung einsteigen, griff zu einer langen Holzstange, trieb sie auf den Wassergrund und stieß damit das Boot ab. Der Kanal war so schmal, daß man darauf nicht rudern, sondern nur staken konnte, das fiel mir erst jetzt auf. Und dennoch! Ich begriff, welche beispiellose Mühe und, dies zuerst, welch technisches Vermögen vonnöten gewesen waren, ihn überhaupt zu graben. Obwohl ich mich für
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