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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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– und das offizielle, aus lauter Abwägungen bestehende und ihn daher immer weiter ermattende in Gerberstedt.
    Eine Zeitlang zog er mehr Kraft aus den Treffen mit Veronika, als er an den Tagen dazwischen verlor. Dann aber veränderte sich die Lage. Die Probleme, mit denen er sich herumschlug, begannen sich auch dort auszuwirken, wo er mit Veronika immer so schön herumgetobt war; Veronika merkte es daran, daß er hin und wieder zu früh ejakulierte. Sie hoffte, es werde sich schon wieder legen, und versuchte derweil, Willy zu helfen, indem sie sich sanft und zurückhaltend gab. Sie tat fast nichts, jawohl, Willy sollte ruhig sehen, daß sie ihm weiterhin ganz und gar zur Verfügung stand. Und Willy faßte sie auch richtig weich an, Willy wollte sie sich auch hübsch langsam nehmen. Aber das währte nur ein paar Sekunden, dann geriet er in eine wahre Raserei, dann wummerte er in Veronika und brüllte dabei: »Ich fick dich jetzt! fick dich! fick dich!« Es klang wie ein Schlachtruf und stieß sie ab; und es klang nicht nur so, es war, ohne daß er es begriffen hätte, wohl wirklich eine Art Schlacht für Willy, das einzige Feld, auf dem er noch imstande war, die Initiative zu ergreifen, war hier, »hier! geb! ich’s! dir! so! in! die! Pflau! me! hier! und! hier! und! hier!«
    Veronika sagte ihm, er solle das lassen, es wirke maschinenhaft auf sie, tue ihr weh und bereite ihr gar keinen Spaß. »Wenn es mir, wie früher manchmal, wenigstens Furcht machen würde, Willy. Es ist doch immer schön gewesen, mich ein bißchen vor dir zu fürchten und zu spüren, wie mir im Schoß der Angstschweiß ausbricht.«
    Es war ihre allererste Kritik an ihm, seit sie es miteinander trieben, und obwohl er selber zugeben mußte, daß sie vollauf berechtigt war, verwirrte sie ihn gehörig. Was ich neuerdings auch tue, alles ist falsch. Bin ich ruhig, ist es genauso verkehrt, wie wenn ich nicht ruhig bin. Jetzt muß ich auch schon hier bei Veronika nachdenken, wie ich mich richtig zu verhalten habe.
    Dann erstickte im »Aufbruch« die Stasi den Streik seiner Arbeiter im Keim. War es das Ereignis, das ihn endgültig aufrieb? Nicht gleich geschah das Aufreiben, nicht auf einen Schlag, sondern Stück für Stück in den Wochen danach, in der Zeit, da Willy begriff, wie sehr er verspielt hatte bei seinen Druckern.
    Sie glaubten, er habe ihnen die Firma auf den Hals gehetzt, sie waren der festen Überzeugung, er stecke mit Felix Freieisen unter einer Decke. Bei seinen morgendlichen Rundgängen schlug ihm ein derart feindseliges Schweigen entgegen, daß er nach ein paar Tagen auf seine Visite verzichtete, auf dieses jahrelange, nie unterbrochene Ritual, das ihn doch immer gestärkt hatte, weil es ihm das Gefühl gab, er sei da unten in den Hallen geachtet. Gerade weil seine Leute ihn immer wieder schonungslos mit Problemen konfrontiert hatten, durfte er sich ja ihres Vertrauens sicher sein. Vorbei! Jetzt schlug ihm Verachtung entgegen.
    Noch einen Anlauf unternahm er, mit der Belegschaft ins Gespräch zu kommen, er beorderte, das war auch die einzige ihm verbliebene Möglichkeit, seinen alten Freund Dietrich Kluge zu sich ins Büro, um ihm auseinanderzusetzen, der Einmarsch der ledernen Truppen sei keinesfalls auf seine Weisung hin erfolgt.
    Willy bat ihn, in der kleinen Sitzecke Platz zu nehmen, wo ein Sofa sowie zwei weiche Sessel standen und die nichtoffiziellen Gespräche geführt wurden, die Plaudereien. Er hoffte, hier werde sich wenigstens ansatzweise wieder ein vertrauter Umgang mit Kluge einstellen.
    »Du weißt vielleicht, weswegen ich mit dir reden will.« Mit dieser Frage, dieser Nichtfrage begann er.
    Willy hatte leise und bittend gesprochen, aber Dietrich Kluge antwortete kurz und bündig: »Nein.« Und woher sollte er es auch wissen. Allenfalls ahnen konnte er es …
    »Es geht mir um den Zwischenfall, der sich neulich ereignete und der, das spüre ich, von der Belegschaft mir angelastet wird. Darüber will ich mit dir reden.«
    »Das war nicht irgendein Zwischenfall«, erklärte Dietrich Kluge. »Das war ein Übergriff. Wir sind bedroht worden, bedroht im eigenen Werk. Weißt du, wie ich mich plötzlich gefühlt habe? Wie ein Sträfling, den man zur Arbeit zwingt, nur daß ich nicht ins Lager gesteckt wurde, sondern das Lager um mich herum aufgebaut worden ist. Und du redest von einem Zwischenfall. Einen Zwischenfall vergißt man, Willy, aber das hier? Niemals!«
    »Ich kann es auch nicht vergessen«, sagte Willy, wobei er

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