Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
Catherine dachte er in diesen Minuten vor diesen immerfort wehenden Vorhängen aus Schnee; und dazu sind ja wohl auch zugezogene Vorhänge da: daß man hinter ihnen endlich mal ungestört einen wichtigen Gedanken verfolgen kann …
    Sie wohnte in der Stargarder Straße im Prenzlauer Berg, das hatte Matti vorgestern bei Britta erfragt: »Sage mal, Schwesterlein, wo haust eigentlich deine Catherine?«
    »Deine?« hatte Britta geradezu beglückt zurückgegeben, »deine?« Und dann hatte sie ihm nicht nur die genaue Adresse genannt, sondern ihm auch gleich noch erklärt, wie er da am besten hinkäme, »mit der S-Bahn bis Schönhauser, aber hinten raus, nicht vorne, hinten ist die Greifenhagener, nochmal, vorne Schönhauser, hinten Greifenhagener, die rechts lang, nicht links, hörst du, und rechts siehst du dann links die Gethsemanekirche, an der mußt du vorbei … großer Himmel, daß du es noch nicht wußtest«! Und sie hatte überrascht, und wohl auch ein wenig mißbilligend, den Kopf geschüttelt.
    Catherine, das war ihm gleichfalls von Britta mitgeteilt worden, paukte in diesen Tagen in der Bibliothek für ihr Examen. Darum wartete er bis zum Abend, ehe er sich aufmachte zu ihr. Währenddessen wich aber die Vorfreude einer großen Unsicherheit. Was, wenn er Catherine auch am Abend nicht antraf? Schließlich hatten sie keine Absprache getroffen. Und doch war die Absprache in der Welt! Er müsse noch ein Gespräch mit Willy führen, hatte er ihr vor 48 Stunden bedeutet – und daß er sich am Tag danach unverzüglich zu ihr begeben würde, das war doch ohne weitere Erklärung klar. Oder etwa nicht? Für mich war und ist es klar, sagte er sich, aber auch für sie?
    Er klingelte, die Tür ging auf, da stand Catherine. Sie zeigte Freude, aber keine Überraschung, sie schien ohne Angst gewesen zu sein, daß er nicht käme, aber sie lächelte auch nicht, auf eine ernste Weise offen war sie. Und so sprach sie auch, wörtlich sagte sie: »Dann sind wir jetzt also allein.«
    Sie drehte sich um und ging in die Wohnung, ließ ihn die Tür schließen, was man doch normalerweise nicht tut, wenn jemand zum ersten Mal eintritt. Sie trug dicke braune Strumpfhosen und einen im selben Braun gehaltenen gestrickten Pullover, der ihr fast bis an die Knie reichte. Um die Taille hatte sie einen Gürtel aus lauter goldfarbenen Ringen geschlungen. Catherine wandte sich wieder zu Matti hin und bemerkte, daß er, auch wenn er nun schnell den Blick hob, auf den Gürtel gestarrt hatte.
    »Schlüsselringe«, sagte sie.
    »Das sind alles Schlüsselringe?« Mit seinem Zeigefinger tastete er einen Ring ab, ganz ohne Catherine zu berühren. Wie sie da im heftigen Atmen ihre Brüste hob und ihren Bauch einzog. Er ließ den Ring wieder los, geriet auch in ein solches Atmen; bißchen kräftiger Luft geholt, und er wäre an ihre Brüste gestoßen, so nahe standen sie sich gegenüber.
    »Ich habe noch nie soviel Zeit gehabt«, sagte Catherine leise. Und wiederholte lächelnd: »Noch nie.«
    Matti verstand, schritt aber um eine Winzigkeit voran, indem er ihr mit seinem Zeigefinger sachte über die Unterlippe fuhr. Sie war naß und glatt, und brennend heiß wie flüssiges Glas. Catherine zuckte leicht zurück, so daß er sie verlor und sein Finger in der Luft hing, doch bevor er auch nur auf den Gedanken kam, ihn wegzunehmen, schob Catherine ihre Lippe wieder darunter. Sie bewegte leicht ihren Kopf hin und her wie in einem ständigen Verneinen, so fuhr Mattis Kuppe, stillstehend, von links nach rechts, und von rechts nach links. Er sah zu, wie Catherine einhielt, ein »hach« ausstieß, plötzlich Mattis Finger mit dem ganzen Mund umschloß und an ihm zu lutschen begann. Ihre Hände hielt sie starr vom Körper weg nach hinten, beinahe wie eine Schwimmerin auf dem Startblock. Matti ließ ein trockenes Gurgeln ertönen.
    Er hob seine andere Hand, um mit ihr Catherines Nacken zu umfassen, und auch deren Hände standen jetzt schon in der Luft, ein paar Millimeter vor Mattis glühenden Wangen, da ließen sie beide plötzlich voneinander ab und stießen sich sogar weg, zuerst Matti Catherine, davor Catherine Matti.
    »Zeit!« stöhnte Matti, »Zeit!« Catherine legte die Stirn an die Wand, grub in Kopfhöhe ihre zehn Finger in den bröckligen Putz und kratzte mit ihnen die Wand entlang nach unten. Man hörte Körner auf die dunkelroten Dielen prasseln. Der Bogen der Erwartung, sie wollten ihn immer noch weiter spannen.
    Sie waren nicht über den Flur

Weitere Kostenlose Bücher