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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Weihevolles, zugleich aber auch etwas Scheues und Unsicheres.
    »Na, das ist wohl kein Altpapier«, sagte Willy.
    Matti verstand die Anspielung und mußte unwillkürlich lächeln. Als er und seine Geschwister klein gewesen waren, hatten sie von solchem Hanf zusammengehaltene Zeitungen in einem Handwagen, der von Rudi gebaut worden war, zum Altstoffhandel gebracht, wobei die Hälfte des erlösten Geldes an Willy ging und die Hälfte bei ihnen verbleiben durfte. Die Kinder wiederum hatten untereinander abgemacht, daß immer zwei von ihnen losziehen und bei ihrer Rückkehr die Pfennige mit dem oder der Daheimgebliebenen teilen würden. Bald aber plackerten sich nur noch die Brüder ab. Britta nämlich hatte bei ihren Einsätzen ein ums andere Mal gezwitschert, noch viel zu schwach zu sein für so was Anstrengendes, eine Behauptung, die sie zu untermauern verstand, indem sie sich mehr von dem Wagen ziehen ließ, als daß sie ihn schob. Dafür war sie dann so großzügig zu erklären, sie wolle auf ihren Anteil verzichten. »Wenn ich trotzdem mal was brauche, nur ganz ausnahmsweise, dann werde ich es doch kriegen, nicht wahr?« So fragte sie, und nun brachten es die Brüder erst gar nicht übers Herz, jenes Britta-Drittel einzubehalten. Sie zahlten jedesmal nach Treu und Ehr, sie konnten die Schwester doch nicht bestrafen, spillrig und sonnig, wie sie war.
    Das Rasseln der eisenummantelten Räder und das Qietschen der hölzernen Deichsel, leise zog es durch Mattis Gemüt. Als es verklungen war, sagte er: »Nein, kein Altpapier.« Verlegen befingerte er den Seilknoten. »Oder vielleicht doch, ich weiß nicht.«
    Willy zog den Stoß zu sich heran. Als er las, was auf dem Deckblatt stand – Das verschlossene Kind –, erstarrte er. Ihm schoß durch den Kopf, daß mit diesem Kind ja wohl nur Sybille gemeint sein konnte, jene Tochter, die er gewissermaßen vor seinen anderen Kindern verschlossen hatte. Wußte Matti etwa von ihr? Was stand in den Papieren? Was war das für ein Packen? Abermals, wie schon während des Disputs mit Marieluise, schienen sich plötzlich Spieße in sein Herz zu bohren. Er zog den Kopf ein, so daß er mit einemmal aussah wie halslos.
    »Ist dir nicht gut?«
    »Ach, schon vorbei.« Tapfer versuchte Willy zu lächeln, und noch tapferer klopfte er dann auf den Stapel und sagte: »Was hat’s auf sich mit diesem …«, er beugte sich über das Gedruckte, »… mit diesem verschlossenen Kind?«
    »Das ist eine real existierende Figur, die mir als Vorlage diente für einen Roman, den ich geschrieben … den ich versucht habe zu schreiben.«
    In der hellen Aufregung, die von Willy Besitz ergriffen hatte, fiel ihm nicht auf, wie tastend und vorsichtig Matti sprach. Willy kam in seiner Wahrnehmung auch gar nicht über die »real existierende Figur« hinaus. Seine Augen flackerten, als er fragte: »Kenne ich sie? Woher kennst du sie? Wer ist sie? Wie heißt sie?«
    Matti schwieg. Das Stakkato der Fragen verblüffte ihn. Ihm wollte auch nicht in den Kopf, warum alle Neugier Willys der Titelfigur galt und nicht dem doch viel wichtigeren Umstand, daß er, Matti, ihm hier ein eigenhändig verfaßtes Romanmanuskript vorlegte.
    »Sag schon«, fuhr Willy ihn gequält an, »hör endlich auf, mich zu foltern!« Er schrie es fast; nach allem, was sich in den letzten Tagen zugetragen hatte, war er offensichtlich mit seinen Nerven am Ende. Jedenfalls bot er in diesem Moment ein bestürzendes Bild: Seine Augen flackerten, sein ehedem akkurat zurückgekämmtes Haar hing ihm wirr in die Stirn, sein Atem ging röchelnd.
    »Beruhige dich doch, beruhige dich!« Matti schüttelte den Kopf und sagte sanft: »Vielleicht war alles zuviel für dich – und jetzt komme ich auch noch damit …« Er schaute auf das Manuskript und fuhr fort: »Ich hatte schon Skrupel, es mitzubringen, große Skrupel. Ich wußte nicht, ob ich es dir zeigen sollte, ich nahm mir vor, alles abhängig zu machen von der Situation. Und vorhin, da hoffte ich, es werde dich ablenken, dir guttun in gewisser Weise. Aber es tut dir nicht gut, es regt dich auf, das sehe ich jetzt. Ich verstehe zwar nicht warum, aber egal, ich werde den Text einfach wieder einstecken und später noch einmal mitbringen. Wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist.« Er langte nach dem Stapel.
    Willy drückte schnell seine flache Hand darauf. Hatte er sich während Mattis durchaus zärtlicher Rede nicht schon wie befreit gefühlt? War er nicht schon der Meinung gewesen, er habe

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