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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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An der Wand gegenüber prangte das Bild des Verteidigungsministers. Man bedeutete Erik, auf einem der etwa 20, zu vier Reihen geordneten Stühle unterhalb des Podestes Platz zu nehmen. Als könnten ihn die Stühle, wenn er sie vor sich haben würde, beschützen, ließ er sich in Reihe drei nieder. Der ranghöchste Mediziner, ein Major mit kleiner, kurzbügeliger Nickelbrille, deren Gläser auf seine Brauen drückten, so daß sie im oberen Bereich erkennbar talg- und fettverschmiert waren, eröffnete die Verhandlung, indem er routiniert und teilnahmslos in wenigen Worten die Krankheitsgeschichte Eriks zusammenfaßte. Sodann fragte er ihn nach seinem aktuellen Zustand.
    Erik räusperte sich. »Mein aktueller Zustand ist dank der Behandlungen, die ich hier in den letzten Wochen genießen durfte«, weil ihm der Honig doch ein wenig zu süß schien, der da aus ihm getropft war, verbesserte er sich, »also die ich hier erhalten habe, sind die Schmerzen ein wenig eingedämmt … haben sie etwas nachgelassen. Die gröbsten Schmerzen. Aber gut ist es … es ist überhaupt nicht gut. Es ist viel schlimmer als vor meinem Armeedienst. Irgend etwas ist mit der Wirbelsäule passiert, das … das fühle ich.«
    Der Major nickte zustimmend, wenngleich nicht mitfühlend. Er erteilte dem ganz außen sitzenden Oberleutnant das Wort. Dieser erwies sich als Röntgologe und warf mit Fachbegriffen nur so um sich. Erik verstand kein Wort. Der Major aber nickte wieder; er wandte sich den neben ihm Sitzenden zu und erkundigte sich, ob es noch Fragen an den Patienten gebe. Das war nicht der Fall. Hierauf erklärte er: »Da Ihre Einschätzung und der uns vorliegende Befund weitgehend korrespondieren, Genosse Werchow, schlage ich vor, Sie vom Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee zu entbinden. Stößt das auf Einverständnis?«
    Erik starrte ihn an. Alles war so schnell gegangen. Es hatte ja keine fünf Minuten gedauert. Es war so verdammt einfach gewesen.
    »Ob das auf Ihr Einverständnis stößt?« Der Major, der eben schon in Papieren gewühlt hatte, in denen des nächsten Falles vielleicht, schaute gesenkten Kopfes über seine verschmierten Gläser hinweg.
    »Ja … ja«, beeilte Erik sich zu antworten, wobei er, sicher ist sicher, darauf achtgab, nicht zu euphorisch zu klingen. Es schien ihm durchaus angeraten, eine leichte Unzufriedenheit über die vorzeitige Beendigung seines Dienstes am sozialistischen Vaterland durchklingen zu lassen.
    »Gut«, nickte der Major. Währenddessen fragte sich Erik, ob hier unten wohl jemals einer gesessen habe, der nicht einverstanden gewesen war mit einer solchen Entscheidung, und bei dieser absurden Vorstellung mußte er endlich lächeln.
    »Da ist nur noch eine Sache zu klären«, unterbrach der Major ihn in seinen Gedanken. Zum ersten Mal schaute er Erik interessiert an. »Sie äußerten soeben, Ihr gesundheitlicher Zustand habe sich während Ihres Dienstes in der NVA verschlechtert. Aber wir – wir können das nicht bestätigen. Es widerspricht dem von uns erstellten Befund. Mit anderen Worten, in diesem speziellen Punkt irren Sie, Genosse Werchow. Sehen Sie, wir haben hier eine Erklärung vorbereitet, die wir Sie bitten zu unterschreiben. Darin steht eben dieses: Ihr Zustand ist unverändert geblieben, weshalb für Sie jetzt und künftig jedwede Schadensersatzforderung an die Nationale Volksarmee ausgeschlossen ist. Bitte …« Der Major streckte ihm den ausgestreckten Arm mit dem Papier entgegen.
    Erik ergriff es, überflog es und wandte zaghaft ein: »Das stimmt doch aber … nicht ganz. Wie ich eben schon sagte, mein Zustand ist wirklich schlechter geworden … ist er.«
    Niemand antwortete.
    Er wagte sich noch weiter vor: »Und wenn ich nicht unterschreibe, was … was geschieht dann?«
    »Dann werden wir nicht umhinkönnen, Sie die gesamte Zeit, für die Sie sich verpflichtet haben, in unseren Reihen zu behalten«, sagte der Major ungerührt.
    In Erik begehrte alles auf. Er war eindeutig für dienstunfähig erklärt worden, also mußte man ihn doch unter allen Umständen entlassen, egal, ob er unterschrieb oder nicht. Der Befund war ja wohl das Entscheidende, sie konnten ja wohl nicht ihren eigenen Befund mißachten und seine Entlassung einfach zurücknehmen … sie konnten, begriff er im selben Atemzuge, o doch, denn sie wußten genau, daß er, wie jeder hier, raus wollte, nur raus – und so zückte er seinen Kugelschreiber, leistete mit zitternder Hand seine Unterschrift, die ihm schief

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