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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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man sie manchem besser gar nicht reicht, denn vertragen, vertragen tut er sie sowieso nicht.« Ruth flüsterte zu Willy, sie wolle jetzt endlich, endlich gehen, aber sie flüsterte so, daß die anderen sie verstehen konnten und umgehend sich erhoben, zuerst Marieluise, dann Catherine, dann Achim, und so weiter, und so weiter.
    Und damit war die Trauerfeier für Rudolf Werchow auch schon vorbei.

Erik dient
    Zu gern wollte Erik Außenhändler werden, und das schon seit seiner frühen Kindheit, war das ein Spleen?
    Bestimmt war es Aziz zu verdanken, der immer mal wieder an der Seite von Tante Marieluise bei den Werchows auftauchte und dann aber immer wieder auch lange verschwand, der weit weg etwas Wichtiges aufbaute, wie ihm, dem kleinen Erik, recht allgemein bedeutet wurde, geheimnisvoll fand er diese Art des Lebens, und so geschah es, daß er schon in Klasse vier, als er, zu Willys und Ruths Erstaunen, seinen ersten Fragebogen ausfüllen mußte, die Spalte »Zweiter Berufswunsch« frei ließ, oder genauer, daß er dort einen dicken Strich machte, als unmißverständliches Zeichen dafür, nichts, aber auch gar nichts anderes werden zu wollen als eben Außenhändler.
    Und weil er nun schon dermaßen lange ein dermaßen schönes Ziel vor Augen hatte, verpflichtete er sich ganz schnell für drei Jahre zur NVA, dazu mußte er nicht erst wie andere überredet werden. Nach der Verpflichtung wiederum versuchte er, sich die bevorstehende Lebensperiode weniger lang zu denken, als sie war, denn immer nur die sinnlose Vernichtung von Zeit im Kopf zu haben, das war doch ungesund, und war es nicht auch kleinlich? Man sollte alles in einen größeren Zusammenhang stellen. Drei Jahre, berechnete Erik, das ist, mal angenommen, man wird 75, der fünfundzwanzigste Teil des Lebens, das ist ja fast nichts, das kann man ja glatt vernachlässigen; und er berechnete noch etwas, und das war sogar das Wesentliche, er kalkulierte, alles Gewehrzerlegen, Latrinenreinigen, Kartoffelschälen, Flurbohnern werde und müsse sich sowieso erübrigen, wenn er bei der Musterung im Gerberstedter Wehrkreiskommando erst einmal seine vorsorglich angefertigten Röntgenbilder auf den Tisch legte, aus denen aber so was von eindeutig hervorging, daß hier ein schwerer Morbus Scheuermann sowie ein nicht zu verachtendes Wirbelgleiten einen jungen Körper beeinträchtigten – nun, er legte die großen, schattigen Fotos seiner fossil wirkenden Knochen andächtig hin und trat scheu, wie verlegen, und nicht zu vergessen: schwerfällig zurück, er wartete auf die erhoffte Wirkung.
    Sie wollte sich aber nicht einstellen. Im Gegenteil, die von Wachsamkeit und Skepsis durchdrungenen Genossen wischten die Belege seiner Versehrtheit nach vielleicht einminütiger Beratung beiseite und zogen ihn, wie um ihn für seinen allzu offensichtlichen Absetzversuch zu strafen, zur Artillerie, auf daß er da mal richtig schuften lerne.
    Und schlimmer noch, auf die Unteroffiziersschule Eggesin am Stettiner Haff kam er dann, ins Land der drei Meere, wie die triste Gegend unter Soldaten genannt wurde: Binnenmeer, Sandmeer, nichts mehr. In der dritten Woche machte man die Neulinge mitten in Meer Numero zwo, aus dem nur ein paar kahle Kiefern ragten, mit der Feldhaubitze 18 bekannt, ein halbes Dutzend Männer erhielt Befehl, sie in Stellung zu bringen, darunter Erik. Beim Gedanken, das Monstrum anheben zu müssen, meinte er aber bereits, ein Ziehen im Lendenwirbelbereich zu spüren. Und als er mit den anderen die Haubitze dann bewegte, zog es wirklich; es riß geradezu, es war ihm, als stoße jemand ein Messer durch seinen Rücken. Erik richtete sich stöhnend auf, faßte sich mit den Händen an die bewußten Stellen und suchte den Blick des Leutnants, der den Zug befehligte. Aber der tat nicht dergleichen, und so mußte Erik geduldig sein und tapfer und noch zweimal das Gerät anheben und jedesmal Schmerzen signalisieren, wobei sein Blick immer flehentlicher wurde.
    Endlich erwies der Leutnant ihm den Gefallen, sich ihm zuzuwenden, er brüllte: »Verdammt, was ist denn, Werchow? Zu Hause nie ’n Kartoffelsack geschleppt, oder was?«
    »Doch«, versicherte Erik mit schmachtendem Gesichtsausdruck. Dann erklärte er, daß es ihn fast unerträglich im Rücken schmerze und er sich, zu seinem ausgesprochenen Leidwesen, denn er wolle doch nicht die ganze Truppe durcheinanderbringen, außerstande sehe, weiter mit anzupacken.
    Der Leutnant zeigte mit dem Daumen hinter sich: »Mann, pflanzen Se

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