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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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sich bloß, Werchow!« Nach der Rückkehr in die Kaserne solle Erik den Med.Punkt aufsuchen, wenigstens das sei ihm doch wohl noch möglich. Erik nickte beflissen, lehnte sich an einen Sandhügel und streckte sich auf eine wahrhaft mitleiderregende Weise.
    Wie Willy besaß er übrigens schöne dichte gewellte Haare. Schöner und auffallender waren nur noch seine vollen wulstigen Lippen, ein Geschenk, das einen gemeinhin sicher und mit großer Selbstachtung daherkommen läßt; und Erik war auch souverän, doch war er es nur momentweise, nur im kleinsten Kreis, nur wenn er sich irgendwo ganz aufgehoben fühlte und gewiß sein durfte, alle Anwesenden seien ihm freundlich gesinnt. Ansonsten glichen seine Lippen einem edlen Instrument, auf dem zu spielen er versäumte, ja es schien, als wisse er nicht einmal, über welch prächtiges Ausdrucksmittel er da verfügte. Nicht selten gereichte ihm dieses sogar zum Nachteil, dann nämlich, wenn seine aufsehenerregenden Lippen unwillkürlich zu zittern begannen und somit allzu deutlich anzeigten, da sei aber jemandem nicht wohl in seiner Haut, da habe aber einer Angst.
    Was den Med.Punkt betraf, so erwies er sich als überaus gut besucht. Im Warteraum erkundigte man sich gegenseitig, und durchaus begierig, was einen hergeführt habe, war man doch immer bestrebt, sich neue Möglichkeiten des Rückzugs aus dem militärischen Alltag zu erschließen. Ein Unteroffiziersschüler fühlte sich beim Marschieren, noch mehr jedoch beim Exerzieren, stark behindert durch Warzen, die seiner Auskunft zufolge aus den Zehen geschossen seien wie Pilze aus nassem Boden. Ein anderer gab an, er bemerke seit dem letzten Ausgang, bei dem er eigentlich durchaus zufriedengestellt worden sei, und zwar dreimal hintereinander, an einer gewissen Stelle ein Kribbeln, wörtlich drückte er sich so aus: »Die Ella hatte ’ne nasse Pflaume da hättma Most draus machen gönn. Aber se hat mir’n Dripper verpaßt die jeile Sau die, ich spür’s jenau.« Indes handelte es sich hierbei um Einzelfälle. Die große Mehrheit der Patienten plagte sich mit Knie- oder, eben wie Erik, mit Rückenbeschwerden. Nicht wenige schienen hier schon Stammgäste zu sein; den Arzt nannten sie jedenfalls übereinstimmend »Dr. Mord«, und seine Methode des narkosefreien Punktierens hieß bei ihnen »Dolchdrehen«.
    Eriks Untersuchung dauerte keine zwei Minuten. Dr. Mord forderte ihn auf, sich zu bücken, und klopfte mit einem Gummihämmerchen auf der Wirbelsäule herum, wobei er fragte, ob das, oder das, oder das weh tue. Erik antwortete mit einem anständigen »Aua«, einem französisch klingenden »Ouuh« sowie einem peinvoll eingesogenen »Fffzzzsssttt«. Und was kriegte er verschrieben? Nichts außer drei Tagen Innendienst.
    Dies alles – das Haubitzenheben und das Stöhnen, das Warten und das Klopfen – wiederholte sich noch zweimal, mit demselben Ergebnis. Beim dritten Mal wies Erik mit zitternden Lippen Dr. Mord darauf hin, wie schwer es ihm mittlerweile falle, sich überhaupt noch aufzurichten. Und das war beileibe nicht nur eine Behauptung. Je mehr er nämlich in sich hineinhorchte, um so steifer deuchte ihn sein Rückgrat, und je steifer ihn sein Rückgrat deuchte, um so mehr horchte er in sich hinein. Vielleicht wegen des Lippenzitterns, das auf einen wirklich desolaten Zustand seines Patienten hindeutete, entschloß sich Dr. Mord, eine röntgologische Untersuchung in die Wege zu leiten. Und siehe, der Befund stimmte ihn nachdenklich. Mit dem Hämmerchen mehrmals in seine hohle Hand schlagend, erklärte er: »Scheint ja tatsächlich was zu wackeln da in Ihrem komischen Skelett. Scheinen doch kein Simulant zu sein, was?«
    Erik schüttelte spürbar froh den Kopf, und das Zittern seiner Lippen erstarb langsam, so langsam, wie dünne Birkenäste zur Ruhe kommen, von denen gerade ein paar fette Krähen aufgestoben sind.
    Und Dr. Mord, der wollte jetzt seinem Namen wohl gar keine Ehre mehr machen und wies Erik vorsichtshalber ins Armeelazarett Bad Saarow ein.
    *
    Welch angenehme Atmosphäre hier doch herrschte! Lächelnde und, man höre nur, in normaler Lautstärke ihn anredende Schwestern erfreuten Erik, junge Ärzte mit vergleichsweise weichen Bewegungen trugen zu seiner Entspannung bei, und bald erschienen ihm der bellende Leutnant, der rabiate Dr. Mord und überhaupt alle in Eggesin Versammelten wie ferne Monster – obwohl sie ihm, bei Lichte besehen, doch gar nichts getan hatten.
    Anderthalb Wochen durfte Erik es sich

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