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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Letzte Nacht – wenn es dich tröstet, letzte Nacht ist auch im VEB Lederwaren eingebrochen worden, das Material für zwei volle Wochen weg, und die sichern das wirklich, womit ich nicht gesagt haben will, daß ihr da nachlässig gewesen seid, ganz und gar nicht ist das meine Meinung … also, widerwärtige Sache, was genau kann ich für dich tun, Genosse Werchow?«
    Das Begrüßungspalaver erzürnte Willy. Der Einbruch ging Altenhof nichts, aber reinweg gar nichts an. Auf die Druckerei hatte er so wenig Zugriff wie einst Rabe. Und wahrscheinlich störte ihn gerade das. Indem er also auf dem Ärgernis des Bücherklaus herumreitet, dachte sich Willy, will er mich nur reizen, ruhig, Willy, ruhig …
    »Ach, der Einbruch«, erwiderte er leichthin, als habe er den schon vergessen, »nein, nein, es handelt sich vielmehr um ein privates Prob … um eine private Angelegenheit, wenn man so will.«
    »Jajajaja, ich weiß, ich weiß, privat geht vor Katastrophe«, lachte Altenhof. »Dann will ich mal sehen, wann wir das regeln können.« Willy hörte ihn in seinem Kalender blättern. »Nächste Woche … hier, Donnerstag hätte ich einen Termin frei, aber … aber nur um 13 Uhr, also zur Mittagszeit, in der du sonst bestimmt zu Tisch bist, ich hoffe, das ist trotzdem in Ordnung für dich, Genosse Werchow?«
    Willy hatte Mühe, an sich zu halten, und wie viele, die so erregt sind, daß ihnen die Fähigkeit verlorengeht, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, nahm er in diesem Moment an einer Nebensächlichkeit Anstoß. Die übliche Anrede in der Partei, »du, Genosse«, erschien ihm plötzlich falsch und sogar abgrundtief verlogen. Entweder, verdammt nochmal, duzte man sich und nannte sich beim Vornamen, so wie er es mit Zeiller hielt, das war dann ein Zeichen von Wohlbekanntheit, wenn nicht Vertrautheit. Oder man ließ es bleiben und siezte sich. Das wäre ehrlicher. Das wäre nicht so ein Krampf. Das wäre sogar ein Akt der Hygiene, wenn einen nicht mehr jedes Arschloch duzen dürfte!
    Doch wenn er sich mit Altenhof siezte, würde ja Vertrautheit noch nicht einmal vorgespielt. Die Fremdheit wäre dann unüberbrückbar. Fremdheit … sie war das Letzte, was Willy jetzt gebrauchen konnte, also entgegnete er in einem freundlichen Ton, der an jenen seines Gegenübers heranreichte: »Nächste Woche, Genosse Altenhof, das wäre mir, ehrlich gesagt, ein wenig zu spät. Wie wäre es heute? Versteh mich bitte recht, ich will ganz und gar nicht aufdringlich sein, doch es ist schon so, daß die Sache eilt.«
    »Aufdringlich? Ich bitte dich! Wenn die Sache wirklich so eilt, und da du das sagst, Genosse Werchow, hege ich daran keinen Zweifel, dann mußt und sollst du gleich kommen. Ja, gleich. Allerdings«, wieder das Papierrascheln, »kann ich dich nur zwischen meine Termine schieben, ich bitte dich also, nicht ungeduldig zu werden, wenn ich dich etwas warten lassen muß. Vielleicht«, er lachte abermals, »wird es wie in der Poliklinik? Ich bin der Zahnarzt mit dem vollen Wartezimmer, und du kommst zur Schmerzbehandlung, wie findest du das?«
    »Lustig«, murmelte Willy, wobei er auf eine Weise mit den Kiefern mahlte, daß jeder Zahnarzt, der zufällig in der Nähe gewesen wäre, ihm gleich und nur zu seinem Wohle mit Gewalt das Maul aufgerissen hätte.
    *
    Matti war übrigens nicht allein gewesen, als Willy angerufen hatte. Neben ihm stand Catherine. Sie war, ein paar Augenblicke zuvor, geradezu ins Haus gestürzt. In ihrem Gesicht stand die blanke Angst, und es rührte ihn, daß sie sich keine Mühe gab, die zu verbergen. Matti wollte sie streicheln, am liebsten über die Wange, aber etwas hielt ihn zurück, vielleicht der Gedanke, daß nach so langer Zeit, die sie sich nun schon kannten, er doch Catherine nicht mit einemmal derart zärtlich begegnen konnte.
    Nach dem Telefonat berichtete Catherine ihm völlig aufgelöst von der Befragung in ihrer Klasse, und als Matti einwarf, sie möge sich beruhigen, so eine Befragung habe es seines Wissens in jeder Klasse gegeben, wurde sie nur noch aufgeregter und erklärte ihm endlich, was Britta ihr gestanden hatte: daß nämlich sie es sei, nach der man fahnde, daß niemand anderes als sie in aller Herrgottsfrühe den Text an die Wandzeitung gepinnt habe.
    Matti faßte sich an den Kopf: »Und ich habe mich eben gewundert, warum mein Vater unbedingt mit ihr reden will. Und gestern abend, da hat Britta seine Schreibmaschine nach oben in ihr Zimmer geschleppt und hat darauf herumgehackt, und ich

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