Brüder und Schwestern
nicht gesprochen! Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, damit dieser Beschluß rückgängig gemacht wird, alle Hebel, das verspreche ich dir!«
»…«
»Wenn du dich da mal nicht irrst, Genosse Krümnick, wenn du dich da mal nicht irrst!«
*
Willy wies Dorle Perl an, ab sofort keine Telefonate durchzustellen und keine Besucher vorzulassen. Auf ihre Frage, wie lange er nicht gestört werden wolle, antwortete er: »Bis auf weiteres, 20 Minuten, keine Ahnung, was weiß denn ich, Dorli.«
Er lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück und legte den Hinterkopf wieder in die gefalteten Hände. Nun ist es also geschehen, dachte er. Er war nicht viel überraschter, als wäre ein Einschreiben mit unangenehmem Inhalt eingetroffen, das er schon eine Weile erwartet habe, jawohl, in gewisser Weise hatte Willy die Nachricht von Brittas Relegation in Empfang genommen wie solch eine Sendung – weil er ja schon länger beobachtet hatte, daß Britta genauso ungestüm und unüberlegt handelte wie in seiner Jugend er selber. Immer stürmte sie drauflos, nie bedachte sie die Folgen, darum hatte er im Bahnwärterhäuschen einmal Achim gegenüber geweissagt: »Zehnmal geht es gut, wenn sie was anstellt, das sie sich vorher nicht überlegt hat. Aber beim elften Mal fällt sie fürchterlich auf die Nase, das ist absehbar, das muß so kommen.«
Damals hatte er nicht ohne Stolz gelächelt, denn alles war nur Theorie gewesen, aber jetzt? Jetzt mußte er eine Strategie entwickeln, wie die Relegation verhindert werden konnte, und schnell mußte das gehen, schon morgen würde es zu spät sein.
Nur fiel ihm erstmal nichts ein. Willy erhob sich schwerfällig, sah zur Schule hinüber, in verwaiste Klassenzimmer hinein, öffnete ein Fenster und lehnte sich hinaus. Als hätte er seine Nase in einen erkalteten Ofen gesteckt, schlug ihm brikettschwere, rauchige Luft entgegen. Er hüstelte und schloß das Fenster wieder.
Dann rief er zu Hause an, um Britta zu sagen, sie möge zum Abendbrot anwesend sein, er habe etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen. Aber er erreichte nur Matti. Britta, so erfuhr er, sei bei Jonas, sie müsse ihn trösten, denn Jonas sei heute morgen von der Schule geflogen. Worauf Willy, der das, und mehr, ja nun schon wußte, ausrief: »Jonas, dieser gottverdammte Jonas, der stürzt sie nur ins Unglück!«
Was er denn von sich gebe, fragte Matti. Willy aber ging nicht darauf ein und forderte ihn auf, sofort bei den Felgentreus vorbeizuschauen und Britta mit nach Hause zu nehmen. Er selber werde ebenfalls so schnell wie möglich kommen.
Als nächstes wählte er die Nummer von Ingo Altenhof. Er mußte sich dazu zwingen, denn Altenhof war keiner, mit dem er etwas zu schaffen haben wollte. Wenn Willy ihn mit seinem Vorgänger Rabe verglich, so gewann Rabe auf einmal; jetzt, im Rückblick, erschien der ja wie von einem hellen Schein umkränzt. Weil er nämlich bei allem, was man gegen ihn vorbringen konnte, zumindest berechenbar gewesen war. Auf Altenhof traf das ganz und gar nicht zu. Bei dem wußte man nie, was er beabsichtigte, wobei das Gefährlichste seine Fähigkeit war, sich zunächst einmal verbindlich und sogar liebenswürdig zu zeigen. Das reinste Wohlwollen, dieser neue Provinzfürst. Und die Freundlichkeit, die er an den Tag legte, wirkte auf nicht wenige derer, die sich ihm erstmals näherten, auch deshalb so vertrauenserweckend, weil sie sich im Laufe der Zeit schon in sein Gesicht gegraben hatte. Zwei in rosafarbenes Fleisch gebettete Falten verliefen von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln und schienen diese nach oben zu ziehen; infolgedessen wurden die ohnehin wulstigen Oberlippen noch ein wenig mehr hervorgekehrt. Dies alles fügte sich zu dem Eindruck, der Mann laufe, leicht entrückt, mit einem Dauerlächeln durch die Welt. In Wahrheit, Willy mußte da nur in seine Augen schauen, lächelte Altenhof so gut wie nie. Er war imstande, die unbarmherzigsten und verachtenswürdigsten Entscheidungen zu treffen und zu verkünden, ohne seinen wohlwollenden, gütigen Gesichtsausdruck zu verändern. Und genau deshalb hatten ihm ja Teile der Bevölkerung bereits einen Spitznamen verpaßt – Kaltenhof.
Willy bat ihn ohne lange Vorrede um einen Termin.
»Wegen des Einbruchs?« fragte Altenhof mitfühlend. »Ja, diese Einbrüche, es ist ein rechtes Kreuz, daß immer wieder Subjekte auftauchen, die sich bereichern wollen, das hört und hört nicht auf, ihr seid ja nicht die einzigen Betroffenen, falls du das denkst.
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