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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Verschlag, den er sich eingerichtet hat zum Dichten, fensterlos, keine fünf Quadratmeter groß. Und wie stolz er die Tür dieses Verschlags, dieser Zelle, dieses Sarges öffnete! Als wär’s einem König sein Refugium. Sagte ich fensterlos? fragte Jonas, und fragte Achim. Da war doch ein Fenster. Es war beinahe bis obenhin, und in der Breite vollständig, verstellt mit Büchern, mit vergilbten Papieren. Und solche lagerten auch ringsherum in Regalen. Richtig, ein Sarg. Nur einer paßte hinein, und dieser eine konnte sich weder drehen noch wenden darin. Und genau darauf war er stolz, welch grausamer Stolz. Kalus hat, wie um seiner eingezwängten Seele ein Maß zu geben, die Wände zu sich herangezogen; wie um die noch zu übertrumpfen, die ihn beengen, hat er sich einen Schraubstock gebaut, und sein masochistischer Stolz besteht nun darin, den immer fester zu drehen, und es auszuhalten, es auszuhalten …
    Kalus, so schwante Willy, seit er jenen Bericht gehört hatte, war in eine Verrücktheit hineingetrieben worden, zumindest wies er Züge von Verrücktheit auf. Jetzt, wie damals im Bahnwärterhäuschen, empfand er gehörig Mitleid mit ihm. Und wieviel mehr Mitleid mußten dann erst die »Hurenkinder«, die das alles gesehen und nicht nur erzählt bekommen hatten, für diesen Mann aufbringen. Ganz klar, als dem die Auflage, die erste nach so langer Zeit, blockiert wurde, hat er, wie es einem Mann mit derartiger Disposition eigen ist, eine Aufwallung gekriegt und ist straks zu dem Depot hin, um die Bücher zu erlösen; und die »Hurenkinder«, sie mußten ihm aus Mitleid unter die zuckenden, unabhängig vom Gips zu Kraftakten gar nicht mehr fähigen Arme gegriffen haben, gewiß, so muß es gewesen sein.
    Aber das alles durfte Willy Zeiller gegenüber niemals preisgeben. Er würde Jonas damit in Teufels Küche bringen. Also fragte er Zeiller möglichst arglos: »Was diese Helfer betrifft, hat denn die Polizei da schon eine Spur?«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    »Und dieser Kalus«, fragte Willy, abermals um Arglosigkeit bemüht, »was soll jetzt überhaupt mit dem passieren?«
    »Dem blüht natürlich eine Anklage, die hat er sich selbst eingebrockt«, schnaubte Zeiller. Er tat so, als habe Kalus ihn persönlich enttäuscht.
    »Eine Anklage … und was wird man ihm zur Last legen?«
    »Du stellst vielleicht Fragen. Natürlich Diebstahl. Diebstahl von Volkseigentum, das ist doch eindeutig!«
    »Ich weiß nicht, ob es so eindeutig ist«, erwiderte Willy. »Moralisch gesehen ist es das wahrscheinlich nicht.«
    »Moralisch gesehen – was soll der Firlefanz? Der Idiot hat eingebrochen, Schluß, aus, fertig!«
    Als er das »Idiot« hörte, begehrte etwas in Willy auf. Mit einemmal zweifelte er daran, daß es sich bei Kalus wirklich um einen Verrückten, oder zumindest einen Verwirrten, handelte. Der Einbruch mußte doch, aus Sicht des Schriftstellers, ein legitimer, ja logischer Akt gewesen sein! Und diesen Gedanken, der ihm soeben gekommen war, führte Willy Zeiller gegenüber näher aus: »Es war ein Einbruch, sicher, daran ist nicht zu deuteln. Aber dennoch, Siggi, ich versuche, mich mal in die Lage dieses Kalus zu versetzen: Er hat ein Buch geschrieben. Mit dem Verlag hat er einen Vertrag, der ihm die Veröffentlichung garantiert, endlich kriegt er mal ein Buch durch. Denkt er. Und dann schließen wir, ich sage der Einfachheit halber wir, obwohl ich daran gar nicht persönlich beteiligt bin, genau dieses Buch weg. Verhaften es sozusagen. Und das, obwohl er nichts verbrochen hat, seiner Meinung nach, meiner Meinung nach und, wenn ich dich vorhin richtig verstanden habe, auch deiner Meinung nach. Wie muß Kalus sich fühlen? Er muß sich natürlich einem schreienden Unrecht ausgeliefert fühlen. Es ist mein Buch, muß er sich denken, nicht das von dieser Parteiverlagsverwaltung, nicht das von dieser Druckerei. Und weiter denkt er, ich hol’s mir wieder, es ist mein Recht, es gehört mir und nicht denen.«
    Je länger Willy gesprochen hatte, um so überzeugter war er davon, daß Kalus mit vollem Bewußtsein vorgegangen war. Ohne Zweifel, es sollte eine Demonstration sein, ein Sich-ins-Recht-Setzen, das zwar im geheimen beginnen mußte, aber da nicht enden durfte; dafür sprach ja gerade die Tatsache, daß der Einbrecher dem uniformierten Suchtrupp alle 5000 Exemplare wie auf einem großen Gabentisch präsentiert hatte. Willy empfand jetzt Respekt für ihn.
    »Ich kann damit nichts anfangen«, rief Zeiller unwirsch,

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