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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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sogar.
    »Da bist du ja!« rief Altenhof aus, ganz so, als habe Willy sich verspätet.
    Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor und bat Willy mit einer Handbewegung an den langen Konferenztisch aus Buchenholz, der mit einer dicken Glasplatte belegt war, wodurch er an eine Museumsvitrine erinnerte. Auf dem Tisch befand sich nichts außer einer weißen Vase aus Meißner Porzellan, in der ein Strauß frischer roter Nelken steckte.
    »Unser Freund Jagielka«, sagte Altenhof, in Richtung der Blumen nickend.
    »Ja, der ist gerade mal wieder Stadtgespräch«, pflichtete Willy ihm bei.
    »Ein Schlawiner, dieser Jagielka, äußerst gewitzt. Man muß ihn im Auge behalten. Mir gefällt nicht, daß er so ein Geheimnis macht um die Frage, wie er seine Nelken hochzieht. Darin liegt, nebenbei bemerkt, allerdings auch seine Schwäche. Er glaubt, wir bekämen das nicht heraus. Das glaubt er wirklich. Er überschätzt sich maßlos. Und indem er sich überschätzt, unterschätzt er uns. Nun, gut so, gut so …«
    »Er tut ja niemandem was zuleide«, brummte Willy.
    Altenhof sah ihn aufmerksam an. »Du bist ungeduldig, Genosse Werchow, ich merke schon, und warum auch nicht, warum auch nicht, du hast ja ein Anliegen, also, ich höre.«
    Willy erzählte ihm, die Unterarme aufs Glas gestützt, die Finger verknotet, von der Wandzeitung, von Britta und dem negativen Einfluß ihres Freundes, unter dem sie seiner Meinung nach stand, von ihrer drohenden, von ihrer eigentlich schon ausgesprochenen Relegation.
    »Das ist ja eine große persönliche Tragödie«, erklärte Altenhof bestürzt.
    Willy stülpte seine Lippen nach innen.
    »Aber was ich daran nicht ganz verstehe, Genosse Werchow – wieso setzt du ausgerechnet mich davon in Kenntnis?«
    Willy preßte seine Finger aneinander. Altenhof kam ihm also keinen Schritt entgegen. Der ließ ihn auflaufen. Der hätte ja auch fragen können: Was kann ich für dich tun? Statt dessen saß er da und lächelte ihn stumm an, mit dem Mund, nur mit dem Mund. Willy stieß sich vom Tisch ab, ließ sich in die Stuhllehne fallen, so daß ein dumpfes Geräusch ertönte, und brachte langsam, unverkennbar sich überwindend, hervor: »Ich möchte dich bitten, deinen Einfluß dahingehend geltend zu machen, daß die Relegation meiner Tochter zurückgenommen wird, Genosse Altenhof.«
    Der Gebietsparteichef wiegte mit durchaus ernstem Gesichtsausdruck, hinter dem aber, wie ein Schemen hinter einer Gardine, eine gewisse Genugtuung sichtbar wurde, seinen Kopf hin und her: »Wie stellst du dir das vor? Wie soll ich das anstellen? Meinen Einfluß geltend machen … mir scheint, dieser Einfluß wird ständig überschätzt, Genosse Werchow, jawohl, ausgesprochen oft geschieht es, daß dieser Einfluß überschätzt wird, da bist du bei weitem nicht der einzige, dem das passiert, ein Irrtum, ein …«
    Plötzlich fiel Willy ihm ins Wort. Er brauste geradezu auf: »Kein Irrtum! Ich überschätze gar nichts, machen wir uns nichts vor. Laß uns Klartext reden, Klartext!«
    Altenhof nickte beinahe belustigt. »In Ordnung, Genosse Werchow, nehmen wir an, der Einfluß des Gebietsparteichefs werde nicht überschätzt, so bleibt doch«, seine Heiterkeit schwand, »immer noch eine Frage, und diese Frage, die Kernfrage sozusagen, lautet: Zu welchem Zwecke und in welchem Sinne übt er seinen Einfluß aus? Ich rede jetzt Klartext, den Klartext, den du dir wünschtest: Wie, bitteschön, soll ich mich für deine Tochter verwenden, da sie doch mit denen paktiert, die überhaupt nicht in meinem Sinne handeln, die völlig andere Zwecke verfolgen als ich, diametral entgegengesetzte Zwecke? Wieso sollte ich jemandem helfen, der auf der falschen Seite steht? Ja, laß es mich so deutlich wie möglich sagen, auch wenn es vielleicht weh tut: Wieso sollte ich an meiner Brust eine Schlange nähren?«
    Willy starrte Altenhof entsetzt an. Britta eine Schlange! Er wußte, wie kaltblütig sein Gegenüber sein konnte, aber eine solche Beleidigung, die hatte er nun wahrlich nicht für möglich gehalten.
    Plötzlich tat sich schon wieder etwas ganz und gar Unerwartetes. Altenhof zeigte sich abermals wie verwandelt. Im Gesicht stand ihm die alte, unermeßliche Freundlichkeit. Er erhob sich, ging zu der verspiegelten Kommode hinter seinem Schreibtisch und holte eine Flasche Hennessy hervor. Als wäre jetzt nichts natürlicher, sagte Altenhof, er werde ihnen erstmal einen einschenken, das hätten sie wohl beide nötig.
    »Vielleicht ist sie ja gar keine

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