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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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gegen die aufsteigende Hysterie ankämpfen und stand auf, ging zu einem Schränkchen zwischen den beiden Fenstern und goss ihr etwas Cognac in ein kleines Glas. Er blieb einen Augenblick stehen, das Glas in der Hand und schaute hinüber zum Glockenturm von San Marco. Dann drehte er sich um, ging zu ihr und gab es ihr.
    Sie nahm es wie in Trance und nippte daran. Er ging ans Fenster zurück und betrachtete erneut den Glockenturm. Als er sicher war, dass er noch genauso aussah wie immer, trat er zurück und nahm seinen Platz ihr gegenüber wieder ein.
    »Sagen Sie mir, warum Sie es getan haben, Signora?«
    Ihre Verwunderung war echt. »Wenn Sie so klug waren, herauszufinden, wie ich es getan habe, dann wissen Sie doch sicher auch warum.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht sagen, was ich denke, denn wenn ich mich irre, entehre ich damit den Mann.« Schon beim Sprechen merkte er, dass auch seine Worte verdächtig nach dem Libretto einer Puccini-Oper klangen.
    »Das heißt, Sie verstehen es, nicht wahr?«, fragte sie und beugte sich vor, um das fast volle Glas neben die Zigarettenschachtel zu stellen.
    »Ihre Tochter, Signora?«
    Sie biss sich auf die Oberlippe und nickte kaum wahrnehmbar. Als sie die Lippe losließ, sah er die weißen Stellen, die ihre Zähne hinterlassen hatten. Sie streckte eine Hand nach den Zigaretten aus, zog sie wieder zurück, hielt sie mit der anderen fest und sagte so leise, dass er sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen: »Ich hatte keine Ahnung.« Dabei schüttelte sie den Kopf angesichts der Widerwärtigkeit. »Alex ist kein musikalisches Kind. Zu Beginn unserer Bekanntschaft wusste sie nicht einmal, wer er war. Als ich ihr sagte, dass ich ihn heiraten wollte, schien sie interessiert. Und als ich ihr dann erzählte, dass er einen Bauernhof und Pferde besaß, war sie sehr interessiert. Sie hatte nur ein Interesse: Pferde. Wie die Heldin in einem englischen Kinderbuch. Pferde und Bücher über Pferde. Sie war elf, als wir geheiratet haben. Die beiden verstanden sich gut. Nachdem sie erfahren hatte, wer er war - ich nehme an, ihre Klassenkameraden haben es ihr gesagt - hat sie sich, glaube ich, ein bisschen vor ihm gefürchtet, aber das ging vorbei. Helmut konnte sehr gut mit Kindern umgehen.« Sie hielt abrupt inne und verzog angesichts der grotesken Ironie ihrer Worte das Gesicht.
    »Und dann. Und dann. Und dann«, wiederholte sie, unfähig, sich aus den Furchen der Erinnerung zu befreien. »Im Sommer dieses Jahres musste ich nach Budapest. Meiner Mutter ging es nicht gut. Helmut versicherte mir, ich könne beruhigt fahren. Ich nahm ein Taxi und fuhr zum Flughafen. Aber der Flugverkehr war eingestellt worden. Warum, weiß ich nicht mehr. Ein Streik. Oder Schwierigkeiten mit dem Zoll.« Sie blickte auf. »Es spielt keine Rolle, warum der Flughafen geschlossen war, oder?«
    »Nein, Signora.«
    »Man hielt uns über eine Stunde hin, dann hieß es, bis zum nächsten Vormittag seien alle Flüge gestrichen. Also nahm ich mir wieder ein Taxi und fuhr nach Hause. Es war noch nicht sehr spät, nicht einmal Mitternacht, darum rief ich gar nicht erst an, um zu sagen, dass ich käme. Ich fuhr heim und schloss die Haustür auf. Es brannte nirgends Licht und ich ging nach oben. Alex hatte schon immer einen unruhigen Schlaf, darum wollte ich als erstes nach ihr sehen. Nach ihr sehen.« Sie blickte zu ihm hinüber, ihr Gesicht war ausdruckslos.
    »Als ich oben an der Treppe war, hörte ich sie. Ich dachte, sie hätte einen Alptraum. Es war kein Schreien, nur ein Geräusch. Wie von einem Tier. Nur dieses Geräusch. Nur das. Ich ging in ihr Zimmer. Er war da. Bei ihr. Es ist eigenartig«, sagte sie ganz ruhig, als hätte sie eine rätselhafte Geschichte vor ihm ausgebreitet und wollte nun seine Meinung dazu wissen, »aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was dann geschah. Nein, nein, ich weiß schon noch, dass er gegangen ist, aber ich weiß nicht mehr, was ich zu ihm gesagt habe, oder er zu mir. Ich bin in dieser Nacht bei Alex geblieben. Später, ein paar Tage später, erklärte er, Alex habe schlecht geträumt.« Sie lachte angewidert und ungläubig. »Das war alles, was er dazu gesagt hat. Wir haben nie darüber gesprochen. Ich habe Alex zu ihren Großeltern geschickt. In die Schule dort. Und wir haben nie darüber gesprochen. Ach, wie modern wir doch waren, wie zivilisiert. Natürlich haben wir aufgehört, miteinander zu schlafen und zusammen zu sein. Und Alex war weg.«
    »Wissen die

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