Brunetti 01 - Venezianisches Finale
sich rasch ein: ›Meint ihr, er mag mich?‹ entwickelte, bis wir schließlich so weit waren, dass wir dieses verrückte Mädchen, so sehr wir es auch anbeteten, am liebsten erdrosselt und in dunkler Nacht in einen Kanal geworfen hätten, nur um uns von diesem Alp zu befreien, der ›Guido‹ hieß und in Frieden für unsere Examina lernen zu können.« Vergnügt über Paolas sichtliches Unbehagen, fuhr er fort. »Und dann hat sie ihn geheiratet. Dich, meine ich. Sehr zu unserem Entzücken, denn es gibt keine wirkungsvollere Medizin für die verrückten Exzesse der Liebe«, hier hielt er inne, um an seinem Glas zu nippen, bevor er schloss, »als die Ehe.« Zufrieden, Paola zum Erröten gebracht zu haben und Brunetti dazu, sich nach einem neuen Drink umzusehen, sagte er: »Es ist wirklich sehr gut, dass du sie geheiratet hast, Guido, sonst hätte keiner von uns je sein Examen geschafft, so wild waren wir alle nach dem Mädchen.«
»Das war auch der einzige Grund, warum ich sie geheiratet habe«, sagte Brunetti.
Padovani verstand. »Und für diese gute Tat lass mich dir einen Drink anbieten. Was darf es sein?«
»Scotch für uns beide«, antwortete Paola und fügte hinzu: »Aber komm gleich wieder. Ich möchte mit dir reden.«
Padovani neigte mit gespielter Unterwürfigkeit den Kopf und machte sich an die Verfolgung eines Obers, ganz Grandseigneur auf seinem Weg durch die Menge. Kurz darauf kam er mit drei Gläsern zurück.
»Schreibst du immer noch für L'Unita ?«, fragte Paola, als er ihr das Glas gab.
Als der Name der Zeitung fiel, zog Padovani mit gespieltem Schrecken den Kopf ein und warf verschwörerische Blicke nach allen Seiten. Er zischelte höchst theatralisch und winkte sie dicht heran. Dann flüsterte er: »Wage es nicht, den Namen dieses Blattes an diesem Ort zu nennen, sonst lässt dein Vater mich noch von seinen Dienstboten aus dem Hause weisen.« Obwohl man Padovanis Ton anmerkte, dass er scherzte, dachte Brunetti, dass er der Wahrheit wahrscheinlich näher kam, als ihm bewusst war.
Der Kritiker richtete sich zu voller Größe auf, trank einen Schluck und gab seiner Stimme etwas beinah Deklamatorisches. »Paola, meine Beste, könnte es sein, dass du die Ideale deiner Jugend verworfen hast und nicht mehr die proletarische Stimme der Kommunistischen Partei liest? Entschuldige«, korrigierte er sich, »der demokratischen Linken?« Köpfe wandten sich, als der Name fiel, aber er fuhr fort: »Herr im Himmel, erzähl mir nicht, dass du dein Alter akzeptierst und den Corriere liest, oder noch schlimmer, La Repubblica, die Stimme der schuftenden Mittelklasse, verkleidet als Stimme der schuftenden Unterklasse?«
»Nein, wir lesen L'Osservatore Romano «, erklärte Brunetti, indem er das offizielle Organ des Vatikans nannte, in dem noch immer gegen Scheidung, Abtreibung und den verderblichen Mythos der Gleichberechtigung gewettert wurde.
»Sehr weise von euch«, sagte Padovani mit vor Lob triefender Stimme. »Nun, wenn ihr dieses brillante Blatt lest, könnt ihr natürlich nicht wissen, dass ich, wie bescheiden auch immer, als Stimme des Kunstverstandes für die darbende Masse fungiere.« Er sprach jetzt leiser und äffte gekonnt die pompöse Stimme eines RAINachrichtensprechers nach, der den jüngsten Sturz der Regierung bekannt gab. »Ich bin der Vertreter des scharfsichtigen Arbeiters. Vor euch steht der Kritiker mit der Lästerzunge und den Schmierfingern, der inmitten des modernen Chaos die Werte wahrer proletarischer Kunst sucht.« Er nickte einem Vorbeigehenden zu und fuhr dann fort: »Schade, dass ihr meine Arbeit offenbar nicht kennt. Vielleicht kann ich euch Kopien meiner letzten Artikel schicken. Zu dumm, dass ich sie nicht bei mir habe, aber selbst als Genie muss man ja etwas Bescheidenheit zeigen, mag sie auch noch so unaufrichtig sein.« Langsam machte ihnen das allen Spaß, also redete er weiter. »Mein neuester Lieblingsartikel ist ein Kabinettstückchen, das ich letzten Monat über eine Ausstellung zeitgenössischer kubanischer Malerei verfasst habe - ihr wisst schon, Traktoren und grinsende Ananas.« Er mimte Verzweiflung, bis der Wortlaut seiner Kritik ihm wieder einfiel. »Ich lobte die - wie nannte ich es noch? - ›die wunderbare Symmetrie aus raffinierter Form und zielbewusster Integrität‹.« Er beugte sich vor und flüsterte in Paolas Ohr, aber so laut, dass Brunetti bequem mithören konnte: »Das war aus einem Artikel, den ich vor zwei Jahren über polnische Holzschnitte
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