Brunetti 01 - Venezianisches Finale
seien. Aber um es gleich zu sagen, nein, ich habe keine Ahnung, worum es da ging.«
»Würdest du es uns denn sagen, wenn du es wüsstest?«, fragte Brunetti.
Padovani zuckte die Achseln.
»Jetzt zu den beruflichen Dingen. Er war ein berüchtigter sexueller Erpresser. Jede beliebige Liste von Sopranistinnen und Mezzosopranistinnen, die bei ihm gesungen haben, gibt einem da einen Überblick; hübsche, junge, anonyme Dinger, die plötzlich eine Tosca oder Dorabella sangen und dann ebenso plötzlich wieder von der Bildfläche verschwanden. Er war so gut, dass er sich solche Ausrutscher erlauben konnte. Außerdem können die meisten Leute sowieso nicht unterscheiden zwischen großen und kompetenten Sängern, das haben also nur wenige gemerkt und es war nicht so schlimm. Zu seiner Ehre sei gesagt, dass Sie wenigstens immer kompetent waren. Einige wurden sogar große Sängerinnen, aber das wären sie wahrscheinlich ohne ihn geworden.«
Brunetti schien das kaum ausreichend für Mord.
»Das waren die Karrieren, die er gefördert hat, aber es gab ebenso viele, die er ruiniert hat, besonders bei Männern mit einer besonderen Veranlagung«, fügte er hinzu und trank einen Schluck, »oder Frauen mit derselben Neigung. Der verstorbene Maestro konnte einfach nicht glauben, dass er für eine Frau unattraktiv sein könnte. Wenn ich du wäre, dann würde ich mir diese sexuelle Seite der Sache mal ansehen. Vielleicht liegt die Antwort nicht direkt darin, aber als Ausgangspunkt mag es nützlich sein. Aber das«, meinte er und deutete mit dem Glas auf den riesigen Bildschirm vor ihnen, »ist vielleicht auch nur eine Reaktion auf eine Überdosis davon.«
Er merkte offenbar, wie unbefriedigend seine Informationen waren und fügte hinzu: »In Italien gibt es mindestens drei Leute, die allen Grund hatten, ihn zu hassen. Aber keiner wäre in der Lage gewesen, ihm etwas anzutun. Einer singt im Chor der Oper von Bari. Er wäre vielleicht ein bedeutender Verdi-Bariton geworden, hätte er nicht damals, in den grässlichen sechziger Jahren, den Fehler begangen, seine sexuellen Vorlieben nicht vor dem Maestro zu verheimlichen. Ich habe gehört, dass er sich sogar habe hinreißen lassen, den Maestro selbst anzugehen, allerdings mag ich nicht glauben, dass jemand wirklich so dämlich sein kann. Wahrscheinlich ein Märchen. Wie auch immer, Wellauer wird nachgesagt, er habe bei einem befreundeten Kolumnisten den Namen fallenlassen und kurz danach fing die Schmutzkampagne an. Deshalb singt er jetzt in Bari. Im Chor.
Der zweite lehrt Musiktheorie am Konservatorium von Palermo. Ich bin nicht sicher, was zwischen den beiden vorgefallen ist, aber er war Dirigent und hatte schon ziemlich viele gute Kritiken eingeheimst. Das war vor etwa zehn Jahren, aber dann, nach ein paar Monaten verheerender Kritiken, war es vorbei mit seiner Karriere. Hierzu habe ich keine direkten Informationen, wie ich zugeben muss, aber Wellauers Name fiel im Zusammenhang mit den Kritiken.
Von dem dritten Fall habe ich nur ganz von ferne läuten hören, aber er betrifft jemanden, der hier wohnen soll.« Als er ihre überraschten Gesichter sah, ergänzte er: »Nein, nein, nicht hier im Palazzo. In Venedig. Aber sie ist wohl kaum fähig, etwas zu unternehmen, sie muss an die achtzig sein und wie man hört, lebt sie völlig zurückgezogen. Ich bin auch nicht ganz sicher, ob das alles so stimmt oder ob ich mich richtig erinnere.«
Als er Paolas Blick sah, hielt er entschuldigend sein Glas in die Höhe. »Kommt von diesem Zeug. Es zerstört Gehirnzellen. Oder frisst sie auf.« Er schwenkte die Flüssigkeit im Glas, beobachtete die kleinen Wellen, die er verursachte und wartete, dass sie ihm die Erinnerung zurückbrachten.
»Ich erzähle euch einfach, woran ich mich erinnere, oder meine zu erinnern. Sie heißt Clemenza Santina.« Als keiner seiner Zuhörer zu erkennen gab, dass ihm der Name etwas sagte, erklärte er: »Vor dem Krieg war sie eine der berühmtesten Sopranistinnen. Ihr ging es wie Rosa Ponsella in Amerika - sie wurde in einem Variete entdeckt, wo sie mit ihren beiden Schwestern sang und innerhalb weniger Monate sang sie in der Scala. Eine dieser vollkommenen Naturstimmen, wie sie in jedem Jahrhundert nur ein paar Mal vorkommen. Aber sie hat nie Schallplattenaufnahmen gemacht, geblieben ist nur, was die Leute gehört haben, woran sie sich erinnern.« Er spürte die wachsende Ungeduld seiner Zuhörer und kam wieder zum Eigentlichen. »Zwischen ihr und Wellauer ist
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