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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zu sehen, wo sich die beiden treffen, wo es auf dasselbe hinausläuft.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann tue ich, was ich tun muss.«
    Sie brach so spontan in Gelächter aus, dass er mitlachen musste. Das hatte wirklich zu sehr geklungen wie John Wayne, bevor er zu seinem letzten Gefecht auszieht.
    »Ich muss mich entschuldigen, Guido, wirklich. Wenn es Sie tröstet, es ist dieselbe Art von Entscheidung, die wir Ärzte oft fällen müssen, wenn das, was wir für richtig halten, nicht dasselbe ist, was das Gesetz für richtig hält.«
    Paola rettete ihn, oder vielmehr sie beide, indem sie zu ihm kam und fragte, ob er jetzt nach Hause gehen wolle.
    »Paola.« Brunetti drehte sich zu ihr um. »Darf ich dir die Ärztin deines Vaters vorstellen«, fragte er, in der Hoffnung, sie zu verblüffen.
    »Ach, Barbara«, rief Paola. »Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen. Mein Vater spricht so viel von Ihnen. Schade, dass es so lange gedauert hat, bis wir uns endlich einmal begegnen.«
    Brunetti sah und hörte ihnen zu und wunderte sich über die Leichtigkeit, mit der Frauen zeigen konnten, dass sie einander mochten, wie sehr sie einander schon beim ersten Kennen lernen vertrauten. Vereint in der gemeinsamen Sorge um einen Mann, den er immer als kühl und distanziert empfunden hatte, sprachen die beiden miteinander, als kannten sie sich schon Jahre. Nichts von dem aufreibenden moralischen Abtasten, wie es zwischen ihm und der Ärztin stattgefunden hatte. Sie und Paola hatten einander nur kurz begutachtet und an dem, was sie sahen, sofort Gefallen gefunden. Er hatte dieses Phänomen häufig beobachtet, fürchtete aber, dass er es nie verstehen würde. Auch er konnte rasch ein freundschaftliches Verhältnis zu einem anderen Mann entwickeln, aber es ging immer nur wenige Schichten tief. Die sofortige Vertrautheit, die er hier sah, ging jedoch sehr viel tiefer, traf in irgendein Zentrum. Und offenbar hörte sie da auch nicht einfach auf, sondern legte nur eine Pause ein bis zur nächsten Begegnung.
    Die beiden waren bei Raffaele angelangt, dem einzigen Enkel des Conte, als ihnen einfiel, dass Brunetti auch noch da war. Paola merkte, wie er rastlos von einem Fuß auf den anderen trat und wusste, dass er müde war und nach Hause wollte, also sagte sie: »Tut mir leid, Barbara, dass ich Ihnen diese ganze Geschichte mit Raffaele auch noch aufgebürdet habe. Jetzt müssen Sie sich Gedanken über zwei Generationen machen statt über eine.«
    »Nein, es ist ganz gut, eine andere Ansicht über die Kinder zu hören. Er macht sich immer zu viele Sorgen um sie. Aber er ist so stolz auf Sie beide.« Brunetti brauchte einen Augenblick, bevor er merkte, dass sie ihn und Paola meinte. Das wurde tatsächlich langsam ein Abend voller Wunder.
    Er wusste nicht, wie es kam, aber die beiden Frauen entschieden, es sei an der Zeit, dass sie alle gingen. Die Dottoressa stellte ihr Glas auf dem Tischchen neben sich ab und Paola nahm im selben Augenblick seinen Arm. Sie verabschiedeten sich und ihm fiel wieder auf, wie viel herzlicher die Ärztin zu Paola war als zu ihm.

13.
    Wie es das Schicksal wollte, war der nächste Morgen der, an dem sein erster Bericht ›vor acht‹ auf Pattas Schreibtisch liegen sollte. Da es Viertel nach acht war, als er die Augen öffnete und auf die Uhr schaute, war das eindeutig unmöglich.
    Eine halbe Stunde später, als er in die Küche kam und sich wieder etwas menschenähnlicher fühlte, fand er Paola bei der Lektüre von L'Unita. Daraus entnahm er, dass Dienstag war. Aus Gründen, die er nie recht verstanden hatte, las sie jeden Morgen eine andere Zeitung, wobei sie das politische Spektrum von rechts bis links berücksichtigte und die Sprachen von Französisch bis Englisch. Vor Jahren, als er sie noch nicht lange kannte und noch weniger verstand, hatte er sie einmal danach gefragt. Ihre Antwort war völlig logisch, wie er erst viel später erkannte. »Ich will sehen, auf wie viele verschiedene Arten man dieselben Lügen verbreiten kann.« In den folgenden Jahren hatte er nichts gelesen, was darauf hindeutete, dass ihr Vorgehen falsch war. Heute war es die Lüge der Kommunisten; morgen bekamen die Christdemokraten ihre Chance.
    Er küsste sie auf den Nacken. Sie grunzte, schaute aber nicht hoch. Schweigend deutete sie nach links, wo auf dem Tresen ein Teller mit frischen Brioches stand. Während sie eine Seite umblätterte, goss er sich eine Tasse Kaffee ein, nahm sich drei Stück Zucker und setzte sich ihr gegenüber.

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