Brunetti 01 - Venezianisches Finale
etwas gewesen, oder zwischen ihm und einer ihrer Schwestern. Ich weiß nicht genau, was es war oder wer es mir erzählt hat, aber sie hat, glaube ich, versucht ihn umzubringen, oder damit gedroht.« Er schwenkte sein Glas in der Luft und Brunetti sah, wie betrunken der Mann war. »Jedenfalls ist jemand ums Leben gekommen oder umgebracht worden, oder vielleicht war es auch nur eine Drohung. Kann sein, dass ich es morgen früh wieder weiß. Oder vielleicht ist es auch nicht so wichtig.«
»Wie bist du auf sie gekommen?«, wollte Brunetti wissen.
»Weil sie die Violetta bei ihm gesungen hat. Vor dem Krieg. Irgendjemand, ich weiß nicht mehr wer, hat mir erzählt, dass man erst kürzlich versucht hätte, ein Interview mit ihr zu machen. Lasst mich mal nachdenken.« Wieder konsultierte er seinen Drink und wieder kam die Erinnerung. »Narciso, genau, der war's. Er hat einen Artikel über große Sänger der Vergangenheit geschrieben und sie aufgesucht, aber sie wollte nicht mit ihm sprechen und hat sich ziemlich abweisend verhalten. Ich glaube, er sagte, dass sie ihm nicht mal die Tür aufgemacht hat. Und dann erzählte er mir irgendwas von einer Geschichte über sie und Wellauer, vor dem Krieg. In Rom, glaube ich.«
»Hat er gesagt, wo sie wohnt?«
»Nein. Aber ich kann ihn morgen anrufen und fragen.«
Entweder war es der Alkohol oder das verebbende Gespräch, Padovanis Feuer erlosch jedenfalls allmählich. Brunetti konnte fast zusehen, wie das Geckenhafte schwand und er zu einem Mann mittleren Alters mit dichtem Bart und Bauchansatz wurde, der mit untergeschlagenen Beinen dasaß und über einem schwarzen Seidensocken zwei Zentimeter nackter Wade sehen ließ. Paola sah müde aus, wie er feststellte, oder war sie das Studentengeplänkel mit ihrem früheren Kommilitonen einfach leid? Auch Brunetti merkte, dass er an jenem heiklen Punkt angelangt war, zu dem der Alkohol bei ihm immer führte: trank er weiter, würde er bald zufrieden und angesäuselt sein; hörte er auf, würde er ebenso rasch nüchtern und melancholisch werden. Er wählte das letztere und stellte sein Glas unter seinen Stuhl auf den Boden, wo es sicher noch vor morgen früh von einem dienstbaren Geist gefunden wurde.
Auch Paola stellte ihr Glas ab und rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn. Sie sah Padovani an und wartete, dass er sich erhob, doch er bedeutete ihnen mit einer Geste, dass sie schon gehen sollten und nahm die Flasche vom Tisch. Während er sich reichlich eingoss, sagte er: »Die mache ich noch leer, bevor ich mich wieder ins Vergnügen stürze.« Brunetti überlegte, ob die Vortäuschung eines angeregten Geplauders ihn wohl ebenso langweilte wie offenbar Paola. Sie tauschten geistreiche Nichtigkeiten aus und Padovani versprach, am nächsten Morgen anzurufen, falls er die Adresse der Sängerin bekam.
Paola führte Brunetti durch das Labyrinth des Palazzo zurück zu Licht und Musik. Als sie in den Salon traten, stellten sie fest, dass inzwischen noch mehr Leute gekommen waren und die Musik lauter spielte, passend zum fröhlichen Stimmengewirr.
Brunetti sah sich um, angewidert und gelangweilt beim Anblick dieser gut gekleideten, gut genährten und gut informierten Leute. Er merkte, dass Paola seine Gedanken erriet und gleich vorschlagen würde zu gehen, da sah er ein bekanntes Gesicht. An der Bar stand, in der einen Hand ein Glas, in der anderen eine Zigarette, die Ärztin, die Wellauers Leiche untersucht und ihn für tot erklärt hatte. Brunetti hatte sich an dem Abend gewundert, wie jemand, der Jeans trug, es wohl schaffte, einen Platz in den vorderen Parkettreihen zu bekommen. Heute war sie ähnlich angezogen: graue Hose und schwarzes Jackett, ein offensichtliches Desinteresse am eigenen Erscheinungsbild, wie es Brunetti bei einer Italienerin für unmöglich gehalten hätte.
Er sagte Paola, er habe jemanden entdeckt, mit dem er gern reden wolle und sie meinte, dann wolle sie inzwischen versuchen, ihre Eltern zu finden, um sich für die Party zu bedanken. Sie trennten sich und er ging quer durch den Salon zu der Dottoressa hinüber, deren Namen er vergessen hatte. Sie machte keinen Versuch, die Tatsache zu verschleiern, dass sie ihn wieder erkannte.
»Guten Abend, Commissario«, sagte sie, als er zu ihr trat.
»Guten Abend, Dottoressa«, antwortete er und als sei der Förmlichkeit nun Genüge getan, fügte er hinzu: »Ich heiße Guido.«
»Und ich Barbara.«
»Wie klein unsere Stadt doch ist«, bemerkte er. Die banale Floskel
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