Brunetti 01 - Venezianisches Finale
seiner Linken. Sie führte in ein kleines Bad. Das einzige Fenster war geschlossen, wie auch das in der Garderobe. Im Schrank hingen ein dunkler Mantel und drei weiße, gestärkte Hemden.
Brunetti ging zurück in den Garderobenraum und trat zu der Leiche. Mit der Rückseite seiner Finger hielt er das Revers des Toten hoch und griff in die Brusttasche des Jacketts. Er fand ein Taschentuch, das er vorsichtig an einer Ecke herauszog. Sonst war die Tasche leer. Auf dieselbe Weise verfuhr er mit den Seitentaschen, aus denen er die üblichen Dinge zutage förderte: ein paar tausend Lire in kleinen Scheinen, einen Schlüssel mit Plastikanhänger, wahrscheinlich für dieses Zimmer, einen Kamm und noch ein Taschentuch. Er wollte möglichst wenig an dem Toten herumhantieren, bevor er fotografiert war, so verschob er die Untersuchung der Hosentaschen auf später.
Die drei Polizisten, zufrieden, dass ein Opfer festgestellt werden konnte, waren gegangen, um Brunettis Anweisungen auszuführen. Der Intendant des Theaters war nirgends zu sehen. Brunetti trat in den Korridor, wo er ihn zu finden hoffte und fragen wollte, wann man die Leiche entdeckt hatte. Stattdessen fand er eine kleine, dunkelhaarige Frau, die rauchend an der Wand lehnte. Hinter ihnen brausten Wogen volltönender Musik.
»Was ist denn das?«, fragte Brunetti.
»La Traviata«, antwortete die Frau schlicht.
»Das weiß ich«, sagte er. »Heißt das, man hat die Vorstellung nicht abgebrochen?«
»›Selbst wenn die Welt in Trümmer fällt...‹« antwortete sie mit der übertriebenen Betonung und Emphase, die man sich für Zitate vorbehält.
»Ist das aus La Traviata?«, wollte er wissen.
»Nein, aus Turandot«, entgegnete sie ruhig.
»Ja, aber trotzdem«, meinte er, »schon aus Respekt vor dem Mann.«
Sie zuckte die Achseln, ließ ihre Zigarette auf den Zementboden fallen und trat sie aus.
»Und Sie sind...?«, fragte er schließlich.
»Barbara Zorzi«, antwortete sie und ergänzte, obwohl er nicht gefragt hatte: »Dottoressa Barbara Zorzi. Ich war im Theater, als ein Arzt gesucht wurde, also bin ich hinter die Bühne gegangen und habe ihn gefunden. Genau um 10 Uhr 35. Sein Körper war noch warm, so dass er nach meiner Schätzung noch keine halbe Stunde tot gewesen sein kann. Die Kaffeetasse auf dem Fußboden war kalt.«
»Sie haben sie berührt?«
»Nur mit der Außenseite der Finger. Ich dachte, es könnte wichtig sein zu wissen, ob sie noch warm war. Sie war es nicht.« Sie holte eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, bot ihm eine an, schien nicht erstaunt, als er ablehnte und zündete sich ihre selbst an.
»Sonst noch etwas, Dottoressa?«
»Es riecht wie Zyankali«, meinte sie. »Ich habe darüber gelesen und auch einmal damit gearbeitet, in Pharmakologie. Der Professor wollte uns nicht daran riechen lassen, weil selbst die Dämpfe gefährlich seien.«
»Ist es wirklich so giftig?«, fragte er.
»Ja. Ich habe zwar vergessen, welche Dosis einen Menschen töten kann, aber es ist wesentlich weniger als ein Gramm. Und es wirkt sofort. Alles hört einfach auf - Herz, Lunge, alles. Er war tot, oder zumindest bewusstlos, bevor die Tasse auf den Boden schlug.«
»Kannten Sie ihn?«, fragte Brunetti.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht besser als jeder andere, der Opern liebt. Oder Gente liest«, fügte sie hinzu und nannte damit ein Klatschmagazin, von dem er sich nur schwer vorstellen konnte, dass sie es las.
Sie sah zu ihm auf und fragte: »War's das?«
»Ja, Dottoressa, ich denke schon. Wenn Sie einem meiner Leute noch Ihre Adresse geben würden, damit wir Sie, falls nötig, erreichen können.«
»Zorzi, Barbara«, sagte sie, nicht im Geringsten beeindruckt von seinem förmlichen Gehabe. »Ich bin die einzige im Telefonbuch.«
Sie warf die Zigarette auf den Boden und trat sie aus, dann streckte sie ihm die Hand hin. »Also dann, Wiedersehen. Ich hoffe, diese Sache wird nicht allzu unschön.« Er wusste nicht, ob sie meinte, für den Maestro, das Theater, die Stadt oder ihn selbst und so nickte er bloß als Dank und schüttelte ihr die Hand. Als sie ging, kam Brunetti der Gedanke, wie merkwürdig seine eigene Arbeit der ihren glich. Sie trafen sich über Leichen und fragten beide ›Warum?‹. Aber wenn die Antwort auf diese Frage gefunden war, trennten sich ihre Wege, als Ärztin ging sie in der Zeit zurück, um den physischen Auslöser zu finden und er ging vorwärts, um den Verantwortlichen zu finden.
Eine Viertelstunde später kam der
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