Brunetti 02 - Endstation Venedig
ging auf die Fässer zu, sorgsam darauf achtend, wohin er die Füße setzte. Obenauf stand nichts, kein Schild, kein Aufkleber, keinerlei Kennzeichnung. Immer darauf bedacht, an der Außenseite zu bleiben und nicht zu dicht heranzugehen, betrachtete er eingehend die sichtbaren Flächen der Fässer. Sie reichten ihm fast bis zur Hüfte, und jedes hatte oben einen sorgfältig zugehämmerten Verschluß. Wer immer sie hier abgeladen hatte, war wenigstens so umsichtig gewesen, sie aufrecht hinzustellen.
Am Ende der Fässerreihe angekommen, ohne eine Aufschrift gefunden zu haben, drehte er sich um und blickte zurück, ob es in der Reihe eine Stelle gab, wo genügend Platz war, um zwischen die Fässer zu kommen. Schließlich ging er ein paar Meter zurück und fand eine Stelle, wo er hineinkonnte. Das Zeug unter seinen Füßen war jetzt mehr als eine Paste, es war zu einer dünnen Schicht von öligem Schlamm geworden, die an seinen Schuhsohlen hochquoll. Er setzte seinen Weg fort und bückte sich von Zeit zu Zeit, um irgendeine Identifizierung zu finden. Er stieß mit dem Fuß gegen einen der schwarzen Plastiksäcke, der an einem der Fässer lehnte. Von dem Faß hing ein Etikett herunter. Brunetti nahm sein Taschentuch und drehte das Papier damit um. »U.S. Air Force. Ramst...« Das letzte Wort war unvollständig, aber seit die Maschinen einer italienischen Kunstflugstaffel dort ineinandergerast und todbringend auf Hunderte deutscher und amerikanischer Zivilisten gestürzt waren, wußte jeder in Italien, daß der größte Militärstützpunkt der Amerikaner in Deutschland Ramstein hieß.
Er trat gegen den Sack, der zur Seite kippte. Nach den Formen, die sich unter der Plastikhaut abzeichneten, war er mit Dosen gefüllt. Er zog sein Schlüsselbund aus der Tasche, bohrte einen Schlüssel durch das Material und riß es damit auf. Dosen und Kartons fielen heraus. Als eine der Dosen auf ihn zurollte, wich er instinktiv zurück.
Hinter ihm rief Ambrogiani: »Was ist?«
Brunetti winkte, um zu signalisieren, daß alles in Ordnung war, und bückte sich, um zu sehen, was auf den Dosen und Kartons Stand. GOVERNMENT ISSUE. NOT FOR RESALE OR PRIVATE USE las er auf einem. Einige Kartons trugen Aufschriften in deutscher Sprache. Auf den meisten war der Totenkopf mit den gekreuzten Knochen zu sehen, der vor Gift oder sonstiger Gefahr warnte. Er drehte mit dem Fuß eine der Dosen um. IF FOUND, CONTACT YOUR NBC OFFICER. DO NOT TOUCH stand darauf.
Brunetti drehte sich um und ging Schritt für Schritt zum Rand der Müllkippe zurück, jetzt noch vorsichtiger, wohin er seine Füße setzte. Unterwegs ließ er sein Taschentuch fallen und hob es nicht wieder auf. Als er zwischen den Füssern hervortrat, kam Ambrogiani auf ihn zu.
»Und?« fragte der Carabiniere.
»Die Aufschriften sind in Englisch und Deutsch. Einiges stammt offenbar von einem ihrer Luftwaffenstützpunkte in Deutschland. Woher der Rest kommt, habe ich nicht feststellen können.«
Sie machten sich auf den Rückweg. »Was heißt NBC?« fragte Brunetti in der Hoffnung, daß Ambrogiani so etwas wußte.
»Nuklear, biologisch und chemisch.«
»Heilige Mutter Gottes«, flüsterte Brunetti.
Foster mußte gar nicht erst zu Gamberetto gehen, um sich in Gefahr zu begeben. Er war ein junger Mann, der Bücher wie Christliches Leben im Zeitalter des Zweifels im Regal hatte. Wahrscheinlich hatte er getan, was jeder naive junge Soldat an seiner Stelle getan hätte - es seinem Vorgesetzten gemeldet. Amerikanischer Müll. Amerikanischer Militärmüll. Nach Italien gebracht, um ihn hier abzuladen. Heimlich.
Sie gingen den schmalen Weg zurück, ohne daß ihnen weitere Lastwagen begegneten. Als sie zum Auto kamen, setzte Brunetti sich hinein und ließ die Beine nach draußen hängen. Dann stieß er mit zwei raschen Bewegungen die Schuhe von seinen Füßen, so daß sie ins Gras am Straßenrand flogen. Anschließend zog er, sorgfältig darauf bedacht, nur den oberen Rand anzufassen, seine Socken aus und warf sie hinterher. Zu Ambrogiani gewandt, sagte er: »Meinst du, wir könnten auf dem Weg zum Bahnhof an einem Schuhgeschäft halten?«
21
Ambrogiani erklärte Brunetti auf der Rückfahrt zum Bahnhof in Mestre, wie es zu solchen Mülltransporten kommen konnte. Der italienische Zoll durfte zwar jeden Laster inspizieren, der aus Deutschland zum amerikanischen Stützpunkt fuhr, aber es waren so viele, daß nicht jeder überprüft wurde, und wenn, dann oft nur sehr oberflächlich. Vom Flugverkehr
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