Brunetti 02 - Endstation Venedig
gar nicht zu reden; auf den italienischen Militärflughäfen Villafranca und Aviano konnten die Maschinen frei starten und landen - und laden und entladen, was immer sie wollten. Auf Brunettis Frage, warum denn so viel transportiert werden müßte, versuchte Ambrogiani ihm klarzumachen, was Amerika alles tue, damit seine Soldaten und deren Familien zufrieden seien. Eis, Tiefkühlpizza, Spaghettisoße, Kartoffelchips, Spirituosen, kalifornische Weine, Bier, all das und noch mehr wurde eingeflogen, um die Regale im Supermarkt zu füllen, ganz zu schweigen von den Läden, in denen Stereoanlagen, Fernseher, Rennräder, Blumenerde und Unterwäsche verkauft wurden. Dazu die Transporte von schwerem Gerät, Panzern und Jeeps. Er erinnerte sich an den Marinestützpunkt in Neapel und den Stützpunkt in Livorno; per Schiff konnte alles herangeschafft werden.
»Schwierigkeiten scheint's da für sie also nicht zu geben«, meinte Brunetti.
»Aber warum bringen sie das Zeug alles hierher?« fragte Ambrogiani.
Die Erklärung dafür erschien Brunetti ziemlich einfach. »Die Deutschen sind in solchen Dingen wachsamer. Ihre Umweltbewegung ist ziemlich einflußreich. Wenn in Deutschland jemand von so einer Geschichte Wind bekäme, wäre der Teufel los. Nachdem sie jetzt wiedervereinigt sind, würde irgendwer davon zu reden anfangen, ob man die Amerikaner nicht einfach rauswerfen sollte, statt zu warten, bis sie von allein gehen. Aber hier in Italien kümmert es keinen, was irgendwo hingekippt wird, sie müssen also nur die Kennzeichnung entfernen. Wenn ihr Müll dann gefunden wird, weiß man nicht mehr, von wem er stammt, alle können behaupten, sie wußten nichts davon, und keiner fühlt sich dafür zuständig, es herauszubekommen. Und bei uns redet niemand davon, die Amerikaner rauszuwerfen.«
»Aber sie haben nicht alle Kennzeichnungen entfernt«, berichtigte Ambrogiani.
»Vielleicht dachten sie ja, sie könnten alles zuschütten, bevor es jemand findet. Es ist ja keine Affäre, einen Bulldozer hinzuschaffen und Erde darüber zu verteilen. Es sah sowieso aus, als hätten sie da nicht mehr viel Platz.«
»Warum schaffen sie das Zeug nicht einfach nach Amerika zurück?«
Brunetti sah ihn lange von der Seite an. So naiv konnte er doch wohl nicht sein. »Wir versuchen unseren Müll in der Dritten Welt abzuladen, Giancarlo. Für die Amerikaner sind wir vielleicht ein Drittweltland. Oder vielleicht sind alle Länder außerhalb Amerikas Dritte Welt.«
Ambrogiani murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.
Vor ihnen stauten sich die Autos an den Zahlstellen am Ende der Autostrada. Brunetti zog seine Brieftasche heraus und gab Ambrogiani zehntausend Lire, steckte das Wechselgeld ein und verstaute die Brieftasche wieder. An der dritten Ausfahrt scherte Ambrogiani nach rechts aus und reihte sich ins Chaos des Samstagnachmittagsverkehrs ein. Schrittweise und im ständigen Kampf gegen andere Verkehrsteilnehmer krochen sie auf den Bahnhof von Mestre zu. Ambrogiani hielt davor, ohne sich um das Parkverbotsschild und das ärgerliche Hupen eines anderen Wagens, der hinter ihm kam, zu kümmern. »Na?« fragte er mit einem Blick zu Brunetti.
»Sieh zu, was du über Gamberetto herausfinden kannst, und ich rede bei mir mit ein paar Leuten.«
»Soll ich dich anrufen?«
»Aber nicht vom Stützpunkt aus.« Brunetti kritzelte seine Privatnummer auf ein Stück Papier und gab es dem anderen. »Das ist meine private Nummer. Du kannst mich morgens früh oder abends erreichen. Am besten rufst du vielleicht von einer Telefonzelle aus an.«
»Ja«, sagte Ambrogiani in ernstem Ton, als ob dieser kleine Hinweis ihm plötzlich die Größenordnung dessen klargemacht hätte, womit sie es hier zu tun hatten.
Brunetti stieg aus, ging um den Wagen herum und beugte sich zum offenen Fenster hinunter. »Danke, Giancarlo.«
Sie schüttelten sich durchs Fenster die Hand, ohne noch etwas zu sagen, und Brunetti ging über die Straße zum Bahnhof, während Ambrogiani davonfuhr.
Als er zu Hause ankam, taten ihm die Füße weh von den neuen Schuhen, die Ambrogiani in einer Raststätte an der Autostrada für ihn gekauft hatte. Hundertsechzigtausend Lire, und sie drückten! Sobald er in der Wohnung war, streifte er sie ab und ging zum Bad, wobei er unterwegs alle seine Kleidungsstücke hinter sich fallen ließ. Dann stand er lange unter der Dusche, seifte seinen Körper mehrmals ein, bearbeitete seine Füße, besonders zwischen den Zehen, mit dem Waschlappen,
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