Brunetti 07 - Nobiltà
Zeitungen an ihre Brust und wandte den Blick von ihm, schien zu überlegen, wie sie es ausdrücken sollte. Sie sah ihn wieder an. »Aber in letzter Zeit ist mir der Gedanke gekommen, daß er vielleicht das genaue Gegenteil von uns verlangt.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte er.
»Daß da gar nicht ein Auge und ein Zahn gefordert wird, sondern nur eine Grenze gezeigt werden soll; das heißt, wenn wir ein Auge verlieren, dürfen wir nicht mehr als ein Auge dafür verlangen, und wenn wir einen Zahn verlieren, können wir dafür nur einen Zahn bekommen, nicht etwa eine Hand oder« - hier hielt sie wieder inne - »ein Herz.« Sie lächelte, bückte sich und küßte ihn auf die Wange. Die Zeitungen knisterten empört.
Als sie wieder aufrecht stand, sagte sie: »Ich will das hier zusammenbinden. Ist die Schnur in der Küche?«
»Ja, wo sie immer ist«, antwortete er.
Sie nickte und ließ ihn allein.
Brunetti nahm seine Brille und seinen Cicero und las weiter. Eine gute Stunde später klingelte das Telefon, aber es war schon jemand an den Apparat gegangen, bevor er abnehmen konnte.
Er wartete ein Weilchen, aber Paola rief nicht nach ihm. So wandte er sich wieder Cicero zu; es gab niemanden, mit dem er jetzt hätte reden wollen.
Nach einigen Minuten kam Paola ins Schlafzimmer. »Guido«, sagte sie, »das war Vianello.«
Brunetti legte sein Buch aufgeschlagen auf die Bettdecke und sah sie über den Rand seiner Brille an. »Und?« fragte er.
»Contessa Lorenzoni«, begann Paola, dann schloß sie die Augen und hielt inne.
»Was ist mit ihr?«
»Sie hat sich erhängt.«
Ehe er noch darüber nachgedacht hatte, flüsterte Brunetti: »Der arme Mann.«
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