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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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das Ergebnis war weniger auffällig und daher besser. Für seine Begriffe aber war das Bedürfnis, das sie trieb, das gleiche und nicht weniger mitleiderregend.
    Er gab nur einen nichtssagenden Ton von sich, dann fragte er: »Was haben die Leute, mit denen Sie gesprochen haben, Ihnen denn erzählt? War auch etwas über diese Frau dabei?«
    »Nein, Commissario. Sie wissen doch, wie das in solchen Orten ist: Da ist keiner bereit, etwas zu sagen, was dem, über den es gesagt wurde, weitererzählt werden könnte.«
    »Soviel zur Diskretion der Polizei«, meinte Brunetti mit betrübtem Kopfschütteln.
    »Aber ist das denn nicht zu verstehen, Commissario? Wenn es zu einem Prozeß kommt, müssen wir sagen, wie wir zunächst überhaupt an einen Namen gekommen sind oder warum wir die Ermittlungen gegen eine bestimmte Person aufgenommen haben. Dann geht der Prozeß weiter, und egal was dabei herauskommt, der Betreffende muß weiter hier leben, zwischen Leuten, die ihn als Verräter ansehen.«
    Brunetti hütete sich, Vianello jetzt mit seinem Standardvortrag über Bürgerverantwortung zu kommen und von der Verpflichtung jedes einzelnen zu reden, den Behörden bei der Aufklärung von Straftaten zu helfen. Daß es sich bei dem Tod der beiden Männer um Mord handelte, Doppelmord, änderte für die, die hier lebten, nicht das allermindeste: Für sie war es die höchste Bürgerpflicht, in Frieden zu leben und sich vom Staat nicht drangsalieren zu lassen. Es war für einen jeden viel sicherer, auf seine Angehörigen und Nachbarn zu vertrauen. Außerhalb dieses Sicherheitsrings lauerten die Gefahren der Behördenwelten und der unentrinnbaren Konsequenzen, die es hatte, wenn man mit ihnen zu tun bekam.
    Brunetti überließ Vianello seinen eigenen Überlegungen, während er selbst noch einen Augenblick stehenblieb und aufs Meer hinausblickte. Die Schiffe waren auf dem Weg zu ihren Zielen schon etwas weiter. Da waren sie, wie ihm schien, die einzigen.

6
    D a Brunetti sich sagen mußte, daß sein Mißfallen über das, was er soeben von Vianello zu hören bekommen hatte, nichts am Wahrheitsgehalt desselben änderte, kam er zu dem Schluß, daß es wenig Sinn hatte, länger auf Pellestrina zu bleiben, weshalb er vorschlug, nach Venedig zurückzufahren. Vianello zeigte sich darüber in keiner Weise erstaunt, und so gingen sie die Stufen wieder hinunter, überquerten die Straße und begaben sich durch das schmale Dorf hinüber auf die andere, Venedig zugewandte Seite, wo das Polizeiboot sie erwartete. Auf der Fahrt über die Lagune gab Vianello ihm die Namen derer, die er befragt hatte, und faßte kurz die Nichtigkeiten zusammen, die sie ihm erzählt hatten. Zum Beispiel hatte Vianello erfahren, daß Bottins Bruder auf Murano lebte und dort in einer Glasfabrik arbeitete; die einzigen Verwandten, die er sonst noch hatte - Angehörige seiner verstorbenen Frau -, wohnten ebenfalls auf dieser Insel, aber offenbar hatte niemand Vianello sagen können, was sie dort machten.
    Die Leute, mit denen Vianello gesprochen hatte, waren in keiner Weise widerborstig gewesen; alle hatten die Fragen beantwortet, die ihnen gestellt wurden. Aber niemand hatte von sich aus eine Auskunft gegeben, die über die simpelste und direkteste Erwiderung hinausging. Man hatte ihn weder mit überflüssigen Details zugeschüttet noch ihm den ganzen Klatsch aufgetischt, von dem jede Gesellschaft lebt.
    Sie waren klug genug gewesen, nicht etwa nur mit ja oder nein zu antworten, vielmehr hatten sie sogar den Eindruck zu erwecken verstanden, als bemühten sie sich nach Kräften, sich alles, alles ins Gedächtnis zu rufen, was der Polizei in irgendeiner Weise nützlich sein könnte. Und die ganze Zeit hatte Vianello genau gewußt, was sie mit ihm machten - und wahrscheinlich wußten sie , daß er es wußte.
    Vianello war gerade mit seinem Bericht fertig, als das Boot sich nach links in den Hauptkanal wandte, der nach San Marco führte, und vor ihnen tat sich der Anblick auf, der sich seit den großen Zeiten der Serenissima den Ankommenden darbot: Glockentürme und Kuppeln, sie alle stellten sich den Passagieren und Besatzungen einfahrender Schiffe zur Schau, schienen einander wie kleine Kinder wegschubsen zu wollen, um das Interesse der nahenden Besucher besser auf sich lenken zu können. Der einzige Unterschied zwischen dem, was jetzt die Polizisten sahen, und dem was sich denen dargeboten haben mochte, die vor fünfhundert Jahren derselben Fahrrinne folgten, war der Wald von

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