Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Brunetti und ließ es offen, ob der Dank dem Angebot oder den Informationen galt. An der Tür hielt er inne, damit Vianello gar nichts anderes übrig blieb, als seinem Vorgesetzten beim Verlassen des Raumes voranzugehen.
Draußen gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander her, bis sie in sicherer Entfernung vom Restaurant und allen Häusern am Wasser standen. Richtung Venedig gewandt stellte Brunetti einen Fuß auf den Damm und bückte sich, um ein Steinchen aus seiner Schuhsohle zu klauben.
»Nun?« fragte er.
»Mir war das alles neu«, meinte Vianello mit einem kurzen Lächeln. »Keiner war bereit, mir irgend etwas zu sagen.«
»Das dachte ich mir schon«, sagte Brunetti, und weil er wußte, daß Vianello sich darüber freuen würde, fügte er hinzu: »Sie haben das sehr gut gemacht.«
»War ja nicht weiter schwer«, meinte der Sergente.
»Nun würde mich doch interessieren, wie arg diese Prügelei war, zumal er uns unbedingt davon überzeugen wollte, daß nichts passiert sei.« Zwar blickte Brunetti noch immer in die Richtung der unsichtbaren Stadt, aber seine Anmerkungen waren eindeutig für Vianello bestimmt.
»Das war ihm sehr wichtig, nicht?«
Zuerst hatte Brunetti das auch so gesehen, aber jetzt fragte er sich allmählich, ob dieser Kellner vielleicht doch schlauer war, als sie glaubten, und den Namen Giacomini und die Geschichte von der Prügelei mit Bottin nur ins Spiel gebracht hatte, um sie von etwas anderem abzulenken.
»Meinen Sie, er wollte uns von etwas anderem abbringen, Sergente?«
»Nein, ich glaube, er war ehrlich beunruhigt«, antwortete Vianello, als hätte er diese Möglichkeit zwar auch schon in Erwägung gezogen, aber wieder verworfen. Und in einem Ton, in dem der typische Hochmut der auf den größeren venezianischen Inseln Geborenen lag, fügte er hinzu: »Ein Pellestrinotto wäre für so etwas schon gar nicht schlau genug.«
»So etwas darf man heutzutage nicht mehr sagen, Sergente«, sagte Brunetti mit sanftem Tadel.
»Obwohl es stimmt?« fragte der Sergente.
»Weil es stimmt«, antwortete Brunetti.
Vianello dachte darüber kurz nach, dann fragte er: »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Ich denke, wir hören uns mal ein bißchen um, was es über den Streit zwischen Sandro Scarpa und Giulio Bottin sonst noch in Erfahrung zu bringen gibt.« Brunetti wandte sich von der Lagune ab und wieder den Reihen der niedrigen Häuser zu.
Vianello nahm neben ihm Schritt auf. »Hinter dem Restaurant ist so eine Art Kramladen. An der Tür hängt ein Schild, daß er um drei geöffnet wird, und jemand hat mir erzählt, Signora Follini mache immer pünktlich auf.« Er führte seinen Vorgesetzten links am Restaurant vorbei und auf einen sandigen Hof, der an zwei Seiten von Türen gesäumt und an der dritten offen geblieben war, so daß man einen weiten Blick auf den Wellenbrecher hatte, hinter dem die Adria begann. Wegen der Höhe des fernen Wellenbrechers konnte man von dieser Seite der Insel aus das Wasser nicht sehen, aber ein scharfer Jodgeruch und die hohe Luftfeuchtigkeit verrieten die Nähe des Meeres.
Brunetti war schon seit Jahren nicht mehr hier draußen gewesen, über zehn Jahre mochte es her sein, als die Kinder noch kleiner gewesen waren und er und Paola sich sonntags nachmittags mit der Familie seines Bruders Sergio auf dessen Boot zu drängen pflegten, um angeblich die Inseln zu erkunden, wobei sie aber genau wußten, daß sie nur auf der Suche nach guten Restaurants und frischem Fisch waren. Er erinnerte sich an sonnenverbrannte, übellaunige Kinder, die wie die Hündchen auf dem Bootsboden lagen und dösten, eingeschläfert von zuviel Sonne und der endlosen Langeweile der Erwachsenengespräche. Er erinnerte sich, wie Sergio einmal aus dem Wasser über den Bootsrand geschossen kam, beide Beine rot verbrannt von einer riesigen Qualle, die sich im klaren Wasser an ihn herangemacht hatte. Und er erinnerte sich mit ganz großer Freude an einen Nachmittag im August, als Sergio einmal mit allen Kindern auf einer der kleineren Inseln zum Brombeerpflücken gegangen war und er und Paola sich im Boot geliebt hatten.
Ein Glöckchen bimmelte, als Vianello die Tür zu dem kleinen Laden öffnete. Sie traten ein, der Uniformierte zuerst, damit von vornherein klar war, wozu sie gekommen waren.
Aus einem anderen Raum rief eine Frauenstimme: »Un momento«, gefolgt vom Schließen einer Tür und einem kurzen, scharfen Ton, als ob irgend etwas energisch hingestellt worden wäre. Danach
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