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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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zuging.
    »Ich glaube kaum, daß Sie oder Giulio davon so arg betroffen waren«, sagte Brunetti. »Da waren Sie doch noch nicht einmal geboren.«
    Er hatte mit dem übertriebenen Ernst des Schmeichlers gesprochen, und ihr Lächeln erzeugte diesmal je zwei Fältchen, allerdings sehr kleine. Paola hatte letztes Jahr einen Kurs über das Sonett gegeben, und an ein Sonett konnte Brunetti - er glaubte, es war ein englisches - sich erinnern: Darin war die Rede von der Verleugnung des Alterns gewesen, einer Form des Selbstbetrugs, die Brunetti schon immer besonders erbärmlich gefunden hatte.
    »Aber hatten Sie nicht wohl oder übel mit ihm zu tun, ich meine, mit Bottin senior?« fragte Brunetti. »Schließlich ist das hier ein kleines Dorf; die Leute begegnen sich alle Tage.«
    Sie schlug sich regelrecht mit dem Handrücken an die Stirn, als sie darauf antwortete: »Erzählen Sie mir nichts davon. Ich weiß, ich weiß. Aus langer Erfahrung weiß ich, wie die Menschen in kleinen Dörfern sind. Da genügt schon die winzigste Kleinigkeit, schon denken sie sich Verleumdungen über jeden aus.« Der einstudierte Auftritt weckte in Brunetti eine gewisse Neugier nach dem Aufenthaltsort oder gar der Existenz eines Signor Follini. Sie sah kurz zu Vianello und öffnete schon den Mund, um fortzufahren.
    »Und Signor Bottin?« fiel Brunetti ihr ins Wort. »Hat man ihn auch verleumdet?«
    Offenbar keineswegs gekränkt durch Brunettis Zwischenruf, antwortete sie mit einer gewissen Bitterkeit: »Bei ihm genügte die Wahrheit.«
    »Welche Wahrheit?«
    Ihre Miene verriet ihm, wie erpicht sie darauf war, es ihm zu sagen, aber dann, er hätte auf die Zehntelsekunde genau sagen können wann, behielt die Diskretion, die das Leben in einem kleinen Dorf einen lehrt, in ihr wieder die Oberhand.
    »Ach, das Übliche«, meinte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, und Brunetti wußte, wie sinnlos es war, ihr noch etwas entlocken zu wollen.
    Trotzdem fragte er: »Was zum Beispiel?«
    Nach langer Pause, die sie eindeutig dazu benutzte, sich Beispiele auszudenken, die so unbedeutend wie nur möglich waren, antwortete sie: »Daß er häßlich zu seiner Frau und streng mit seinem Sohn war.«
    »Ich nehme an, daß man so etwas über die meisten Männer sagen könnte.«
    »Aber doch nicht über Sie, Signore«, gab sie zurück, wobei sie sich aufreizend weit über ihren Tresen beugte.
    Vianello sah den Augenblick zum Eingreifen gekommen. »Der Bootsführer hat gesagt, wir müssen zurückfahren, Commissario«, sagte er mit leiser Stimme, aber doch laut genug, daß sie es hörte.
    »Natürlich, Sergente«, antwortete Brunetti in amtlichem Ton. Dann wandte er sich wieder an Signora Follmi, lächelte kurz und sagte: »Für den Augenblick ist das wohl alles, Signora. Wenn wir weitere Fragen haben, wird jemand herkommen.«
    »Nicht Sie?« fragte sie, um einen enttäuschten Ton bemüht.
    »Kommt darauf an, ob das nötig ist«, antwortete Brunetti.
    Er dankte ihr für ihre Geduld, dann verließen sie den Laden, voran Vianello, der sich draußen kurz nach links und dann nach rechts wandte - offenbar kannte er sich in den paar Straßen, die den Ortskern von Pellestrina bildeten, schon aus.
    »Das war keine Sekunde zu früh, Sergente«, meinte Brunetti lachend.
    »Ich hielt es für das beste, uns mit einer List loszueisen, Commissario.«
    »Und wenn das nicht geklappt hätte?«
    »Dann hätte ich immer noch meine Pistole gehabt«, antwortete Vianello mit einem kurzen Klaps auf seine Pistolentasche.
    Vor ihnen erhob sich der Damm, und einer plötzlichen Eingebung folgend, ging Brunetti über die schmale Straße, die zum Ende der Halbinsel führte, und stieg die Stufen hinauf, die man in den Damm gehauen hatte. Oben angekommen, machte er auf dem schmalen Betonweg, der in beide Richtungen verlief, Platz für Vianello.
    Vor ihnen lag eine mäßig bewegte Adria; die dunklen Pünktchen in mittlerer Ferne waren Tanker und Frachtschiffe. Weit dahinter klaffte die offene Wunde der früheren Republik Jugoslawien.
    »Finden Sie es nicht auch merkwürdig, Commissario, daß solche Frauen immer so komisch auf uns wirken, wenn sie sich haben liften lassen, nicht aber, wenn sie reicher oder berühmter sind?«
    Brunetti mußte an die zwei Freundinnen seiner Frau denken, die dafür bekannt waren, daß sie in regelmäßigen Abständen nach Rom verschwanden und wie verwandelt wiederkamen. Da sie reich waren, hatte man an ihnen stets bessere Arbeit geleistet als an Signora Follini, und

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