Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Antwort, aber das Lächeln hatte wenig Wärme; vielleicht hatte die alte Frau einen Teil davon mitgenommen, oder sie hatte eine kalte Ermahnung hinterlassen, wie eine Frau ohne sichtbaren Ehemann sich in Gegenwart fremder Männer zu benehmen habe.
»Wie geht es Ihnen heute, Signora?«
»Gut, danke«, antwortete sie förmlich. »Womit kann ich Ihnen dienen?« Bei seinem ersten Besuch hätte sie in die Frage den deutlichen Unterton gelegt, daß Sinnlichkeit in ihrer Dienstbereitschaft zumindest nicht ausgeschlossen sei.
Diesmal aber verhieß ihre Stimme nichts, was über Trockenerbsen, Salz und Anchovis im Glas hinausgegangen wäre.
Brunetti schenkte ihr das herzlichste Lächeln, das er zustande brachte. »Ich bin extra wiedergekommen, um mit Ihnen zu reden, Signora«, begann er in der Hoffnung, ihr damit eine Reaktion zu entlocken. Als das nicht klappte, fuhr er fort: »Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen zu den Bottins vielleicht doch noch etwas eingefallen ist, was uns weiterhelfen könnte.« Ihr Gesicht blieb unbewegt. »Als wir das letztemal miteinander sprachen, haben Sie angedeutet, daß Sie zumindest den Sohn sehr gut kannten, und da dachte ich, Ihnen wäre vielleicht noch etwas eingefallen, was von Bedeutung sein könnte.«
Sie schüttelte den Kopf, sprach aber noch immer nicht.
»Vermutlich hat es sich inzwischen allgemein herumgesprochen, daß die beiden ermordet wurden«, begann er erneut und wartete.
»Ich weiß«, sagte sie schließlich.
»Was die Leute noch nicht wissen, ist, daß es ein besonders abscheuliches Verbrechen war, vor allem was man mit Marco gemacht hat.«
Sie nickte darauf, entweder um zu bestätigen, daß sie ihn gehört hatte, oder um zu sagen, daß sogar dies den Leuten von Pellestrina bereits bekannt war.
»Darum müssen wir soviel wie eben möglich über sie in Erfahrung bringen, damit wir eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wer das Verlangen gehabt haben könnte, so etwas zu tun.« Als sie nichts sagte, fragte er: »Verstehen Sie das, Signora?«
Sie hob den Blick und sah ihm in die Augen. Ihr Mund blieb festgefroren in dem Lächeln, das die Chirurgen ihr verpaßt hatten, aber Brunetti konnte die Trauer in ihrem Blick nicht übersehen. »Niemand konnte Marco etwas zuleide tun wollen. Er war so ein lieber Junge.«
Damit verstummte sie und wandte den Blick ab.
»Und sein Vater?« fragte Brunetti.
»Ich kann Ihnen nichts sagen«, antwortete sie gepreßt. »Gar nichts.«
Die Angst in ihrem Ton brachte in Brunetti eine Saite zum Schwingen. »Nichts, was Sie mir sagen, wird weitergetragen, Signora.«
Die Starrheit ihrer Züge machte es unmöglich, in ihrem Gesicht zu lesen, aber er glaubte zu spüren, wie sie ruhiger wurde.
»Die konnten Marco nicht umbringen wollen«, sagte sie.
»Die?« fragte er.
Schlagartig war ihre Angst wieder da. »Na ja, die das getan haben«, sagte sie.
»Was war Giulio denn für ein Mensch?« fragte Brunetti.
Signora Follinis modelliertes Kinn bewegte sich hin und her zum Zeichen ihrer totalen Weigerung, weitere Auskünfte zu geben.
»Aber Signora...«, begann Brunetti, doch da ertönte die Türglocke und unterbrach ihn. Er sah ihren Blick in Richtung Tür fliegen, dann wich sie einen Schritt von ihrem Ladentisch zurück und sagte: »Wie ich Ihnen schon sagte, Signore, wenn Sie Zündhölzer brauchen, müssen Sie in den Tabakladen gehen. Ich führe keine.«
»Entschuldigung, Signora. Als ich die Kerzen sah, die Sie der alten Dame verkauft haben, dachte ich, Sie hätten vielleicht auch Zündhölzer«, antwortete er geistesgegenwärtig, ohne sich um die Schritte hinter ihm zu kümmern.
Damit wandte er sich von der Frau ab und ging zur Tür. Wie es in kleinen Dörfern Sitte ist, nickte er den beiden Männern zu, die da gerade hereinkamen, und ohne es sich anmerken zu lassen, prägte er sich dabei jede Einzelheit ihres Aussehens ein. Als er sich ihnen näherte, traten sie nach rechts und links beiseite, eine Geste, die Brunetti als leicht bedrohlich empfand, obwohl die Männer deutlich zeigten, daß sie an ihm so wenig Interesse hatten wie er an ihnen.
Das Glöckchen bimmelte, als er die Tür öffnete, und als er ins Sonnenlicht hinaustrat und die Tür hinter sich zugehen hörte, lief ihm nachträglich noch ein Schauer über den Rücken.
Er wandte sich nach rechts, mit den Gedanken nach wie vor bei den Gesichtern und Figuren der beiden Männer. Er kannte sie beide nicht, aber den Typ kannte er nur zu gut. Sie hätten miteinander verwandt
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