Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
sein können, denn sie hatten beide die gleichen rötlichen Gesichter, die gleiche rauhe Haut, den gleichen stämmigen Körperbau. Doch konnte all das ebenso von jahrelanger Schwerarbeit im Freien herrühren. Der jüngere Mann hatte ein schmales Gesicht und dunkles, mit irgendeiner öligen Pomade nach hinten gebürstetes Haar. Der ältere trug sein Haar genauso, aber da es sehr viel spärlicher war, wirkte es eher wie auf den Schädel gemalt, obwohl es noch für ein paar fettige Locken reichte, die ihm bis auf den Hemdkragen baumelten. Beide trugen Jeans mit starken Verschleißspuren und grobe Stiefel, wie man sie häufig bei Männern sieht, die Schwerarbeit leisten.
Eine Unzahl kleiner Fältchen umgab die Augen, mit denen die beiden Männer ihn gemustert hatten, Fältchen, die man von Jahren in der Sonne bekommt. Und die Blicke, mit denen sie Brunetti betrachteten, hätten Beute gelten können: starr, wachsam, zum Zustoßen bereit. Diese Art verhaltener Aggression war es gewesen, die in Brunetti die Alarmglocken hatten läuten lassen, ungeachtet der Tatsache, daß es eine Zeugin in Gestalt der Signora gegeben hätte, und ebenso ungeachtet der Tatsache, daß die Männer wahrscheinlich wußten, daß er Polizist war.
Er ging die schmale Straße hinunter und in den Tabakladen, der so düster und schmutzig war wie Signora Follinis Kramladen - wieder so ein Ort, an dem Bankrott sich häuslich niedergelassen hatte.
Der Mann hinter dem Ladentisch riß sich von der Illustrierten los, in der er las, und sah ihn durch dicke Brillengläser an. »Ja?« fragte er.
»Streichhölzer«, sagte Brunetti, um Signora Follinis Spiel weiterzuspielen.
Der Mann zog eine Schublade unter dem Ladentisch auf und fragte: »Schachtel oder Heftchen?«
»Schachtel«, sagte Brunetti und griff in seine Tasche nach Münzen.
Der Mann legte ein Schächtelchen Zündhölzer vor Brunetti auf den Tisch und verlangte zweihundert Lire. Als Brunetti die Münzen auf den Tisch legte, fragte der Mann: »Zigaretten?«
»Nein«, sagte Brunetti. »Ich versuche es mir gerade abzugewöhnen. Aber ich möchte wenigstens Streichhölzer bei mir haben, falls ich es doch nicht aushalte und jemanden um eine Zigarette bitte.«
Darüber lächelte der Mann. »Es versuchen ja viele aufzugeben«, sagte er. »Eigentlich wollen sie es gar nicht richtig, sie meinen nur, es wäre gut für sie, also versuchen sie's.«
»Und - mit Erfolg?«
»Bah!« machte der Mann verächtlich. »Ein, zwei Wochen halten sie durch, einen Monat vielleicht, aber früher oder später stehen sie alle wieder hier und kaufen Zigaretten.«
»Spricht nicht sehr für die menschliche Willenskraft, wie?« meinte Brunetti.
Der Mann nahm die Münzen und ließ sie einzeln in die hölzerne Kassenschublade fallen. »Menschen tun eben, wonach ihnen der Sinn steht, egal was man ihnen erzählt und egal wie genau sie wissen, daß es schlecht für sie ist. Nichts kann sie abhalten, keine Angst, keine Gesetze, keine Versprechungen.« Er sah Brunettis Gesicht und fügte hinzu: »Wenn man sein Leben lang Zigaretten verkauft, lernt man eines: Nichts wird die Leute je davon abbringen, solange ihnen richtig danach ist.«
11
D ie Worte des Tabakhändlers gingen Brunetti noch im Kopf herum, als er schon auf dem Weg zum Restaurant war, und er fragte sich, ob sie wohl eines Tages auch auf Vianello und die Muscheln zutreffen würden oder ob der Sergente sich als einer der seltenen Menschen entpuppte, die einen so festen Charakter besaßen, daß sie sich etwas versagen konnten, auch wenn ihnen sehr danach war. Sich selbst hielt Brunetti nicht für besonders willensstark, denn wie er von sich wußte, manipulierte er Situationen oft so, daß er die Entscheidung, etwas zu tun, wonach ihm gar nicht war, nicht erst treffen mußte.
Als Paola ihn vor zwei Jahren durch dauerndes Sticheln endlich dazu gebracht hatte, sich einmal gründlich untersuchen zu lassen, hatte er zu dem Arzt gesagt, er brauche sich mit den Untersuchungen auf Cholesterin und Diabetes nicht aufzuhalten, wobei er dem Arzt den Schluß überließ, daß die Untersuchungen nicht nötig seien, da er sie erst vor kurzem habe machen lassen. In Wahrheit hatte Brunetti einfach die Ergebnisse nicht wissen wollen, weil ihm nicht danach war, das zu tun, was er im Falle eines ungünstigen Befundes hätte tun müssen. Immer wenn er an diese Täuschung und ihre eventuellen Folgen für seine Familie dachte, beruhigte er sich damit, daß er sich noch nie im Leben gesünder
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