Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
stellen oder ins Lächerliche ziehen konnte, fuhr Vianello fort: »Nein, nicht eine Portion, auch nicht fünfzig. Aber sie sind nun einmal voller Chemikalien und Schwermetalle. Weiß der Himmel, wie sie das selbst überleben. Jedenfalls mag ich sie nicht mehr essen. Schon bei dem Gedanken wird mir ein bißchen schlecht.« »Wie können sie Ihnen dann aber fehlen?« »Weil ich Venezianer bin und weil ich damit aufgewachsen bin, wie Sie selbst schon sagten. Aber damals waren sie noch nicht vergiftet. Ich habe das alles so gern gegessen - die von meiner Mutter selbstgemachten Spaghetti mit Muschelsoße, und dann ihre Fischsuppen. Doch nachdem ich jetzt weiß, was da alles drin ist, bekomme ich sie einfach nicht mehr runter.« Da er das Gefühl hatte, Brunettis Neugier noch immer nicht befriedigt zu haben, fuhr er fort: »Vielleicht geht es ja den Indern so mit ihren Kühen.« Er dachte kurz darüber nach und verbesserte sich dann: »Nein, die essen ja schon von vornherein keine, dann können sie das auch nicht aufgeben, nicht?« Er wälzte diese Frage noch ein bißchen hin und her und gab schließlich auf. »Ich kann Ihnen nicht erklären, wie das ist, Commissario. Ich denke, ich könnte welche essen, wenn ich wollte; aber ich will einfach nicht.«
Brunetti hatte schon eine Antwort auf den Lippen, da fragte Vianello: »Was irritiert Sie daran eigentlich derart? Sie würden doch nicht so reagieren, wenn einer das Rauchen aufgäbe, oder?«
Darüber dachte nun Brunetti nach. »Nein, ich glaube nicht.« Er lachte. »Wahrscheinlich, weil es sich um Essen handelt und ich kaum glauben kann, daß jemand so etwas Gutes wie Muscheln nicht mehr ißt, egal welche Folgen es hat.«
Damit schien die Frage geklärt, jedenfalls für den Augenblick. Bonsuan drehte das Gas voll auf, und der Lärm des Motors machte jeden Versuch einer weiteren Unterhaltung aussichtslos. Hin und wieder kamen sie an Booten vorbei, die vor Anker lagen, während die Leute mit Angelruten in den Händen an Deck saßen und mehr mit ihren Betrachtungen beschäftigt schienen als mit dem Fischfang. Meist schauten die Männer auf, wenn sie das herannahende Boot hörten, aber kaum sahen sie, daß es ein Polizeiboot war, richteten sie ihre Aufmerksamkeit wieder aufs Wasser.
Allzubald - jedenfalls für Brunettis Geschmack - erkannten sie die langgestreckte Mole von Pellestrina. Eine schmale Lücke verriet die Stelle, wo die Squallus noch auf dem Grund lag und ihre Masten nach wie vor schief aus dem Wasser ragten. Bonsuan brachte sie bis ans Ende der Mole. Er nahm das Gas weg, leise tuckerte das Boot dahin, bis es keinen Meter mehr von der riva entfernt war, dann ließ er plötzlich den Motor für ein paar Sekunden im Rückwärtsgang aufheulen und schaltete ihn danach ab. Stumm glitt das Boot an die Mole. Vianello warf eine Leine um einen Eisenpoller und zog das Boot ohne Anstrengung heran. Dann schlang er schnell und gekonnt einen Knoten und ließ die Leine aufs Deck fallen.
Bonsuan streckte den Kopf aus der Kabine und rief: »Ich warte auf Sie.«
»Das brauchen Sie nicht, Bonsuan«, sagte Brunetti. »Ich habe keine Ahnung, wann wir hier fertig sein werden. Wir können den Bus zum Lido und von dort das Vaporetto nehmen.«
»Ich warte«, wiederholte Bonsuan, als hätte Brunetti gar nichts gesagt - oder er selbst es jedenfalls nicht gehört.
Da Bonsuans Aufgaben nur die eines Bootsführers waren, konnte Brunetti kaum von ihm verlangen, daß er sich auf Pellestrina unters Volk mischte und Fragen nach dem Mord an den Bottins stellte. Er mochte ihm aber auch nicht befehlen, zur Questura zurückzufahren, obwohl das Boot dort vielleicht gebraucht wurde. Also schloß er einen Kompromiß und fragte: »Was machen Sie denn hier den ganzen Tag?«
Bonsuan drehte sich um und klappte den Deckel eines Kastens zu seiner Linken auf, bückte sich und nahm drei Angelruten und einen kleinen, mit Plastik abgedeckten Eimer heraus. »Ich bin da draußen«, sagte er und zeigte nach rechts, in Richtung Wasser. Dann sah er Brunetti voll an und meinte: »Wenn Sie möchten, kann ich nach dem Angeln auch auf einen Kaffee in die Bar gehen.«
»Das wäre sicher eine gute Idee«, pflichtete Brunetti ihm bei und sprang vom Boot.
Er und Vianello gingen auf die eng zusammengedrängten Häuser des Dörfchens zu. Brunetti warf einen Blick auf seine Uhr. »Schon nach elf. Wir treffen uns im Restaurant.«
Als sie so halbwegs in der Dorfmitte angekommen waren, wandte Brunetti sich nach links, wo
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