Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
gefühlt habe und sich folglich keine Sorgen zu machen brauche.
Und als vor drei Jahren ein Albaner unter dem Verdacht festgenommen wurde, die beiden elfjährigen Prostituierten, von denen er lebte, mißhandelt zu haben, hatte Brunetti nichts dagegen unternommen, daß der Mann von zwei Beamten verhört wurde, von denen einer selbst eine Tochter im besagten Alter hatte, während die fünfzehnjährige Tochter des anderen schon einmal von einem Albaner tätlich angegriffen worden war. Und er hatte sich auch nie darum gekümmert, wie dieses Verhör abgelaufen war, obwohl der Verdächtige die Taten auffallend schnell gestanden hatte.
Bevor er sein Gewissen noch weiter erforschen konnte, kam er an das Restaurant und ging hinein. Der Wirt, der hinter dem Tresen stand und für ein paar Männer an der Bar Kaffee machte, quittierte sein Kommen mit einem Kopfnicken. »Ihr Beamter ist hinten drin«, sagte er. Die Männer an der Bar drehten sich alle nach Brunetti um, und wieder fühlte er diese bohrenden Blicke, mit denen ihn schon die beiden Männer in Signora Follinis Laden bedacht hatten. Ohne sich weiter darum zu kümmern, ging er zu dem Durchgang, teilte die Plastikstreifen des Vorhangs und trat in den Speiseraum.
Vianello saß wieder am selben Tisch, vor sich eine Flasche Mineralwasser und einen halben Liter Weißwein. Als Brunetti ihm gegenüber Platz nahm, beugte Vianello sich über den Tisch, um in Brunettis Gläser zuerst Wasser, dann Wein zu gießen.
Brunetti kippte das Wasser schnell hinunter und wunderte sich dabei über den großen Durst, den er hatte; gern hätte er gewußt, ob das eine verspätete Reaktion auf die Angst war - er mußte zugeben, daß es Angst gewesen war -, die über ihn gekommen war, als er diesen beiden Männern den Rücken zuwandte. Er sah zu Vianello hinüber und fragte: »Also?«
»Lorenzo Scarpa, der Kellner, ist nicht mehr zum Dienst erschienen, seit wir hier waren. Wie der Wirt sagt, hat er angerufen und erzählt, er müsse sich um einen Freund kümmern, aber wo dieser Freund wohnt, hat er angeblich nicht gesagt, sich auch nicht dazu geäußert, wie lange er fortbleiben werde.« Da Brunetti keine Zwischenfrage stellte, fuhr Vianello fort: »Ich bin zu seiner Adresse gegangen - der Wirt hatte sie mir gegeben -, aber seine Nachbarn können sich nicht erinnern, ihn in letzter Zeit gesehen zu haben, und wissen angeblich auch nicht, wo er sein könnte.«
»Und Sandro, der Bruder?«
»Der ist erstaunlicherweise noch hier. Oder war hier. Sein Boot ist noch draußen - heute früh vor Morgengrauen ausgelaufen und noch nicht wieder zurück.«
»Was kann das bedeuten?«
»Eigentlich alles«, antwortete Vianello. »Daß er gerade einen guten Fang macht und die Arbeit nicht unterbrechen will, oder daß er einen Motorschaden hat. Der Wirt hier scheint der Meinung zu sein, daß er nur eine Glückssträhne hat - viel Fisch.«
Vianello trank einen Schluck von seinem Wein und fuhr dann fort: »Signora Bottin ist vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Ihre Verwandten hatten seit ihrem Tod nichts mehr mit Giulio oder Marco zu tun.«
»Warum?« fragte Brunetti.
»Wegen dieses Hauses auf Murano. Sie haben das Testament angefochten, aber da sie es von ihren Eltern ge-erbt und Bottin sich damit einverstanden erklärt hatte, daß es ganz an den Sohn gehen sollte, hatten sie im Grunde keine Handhabe.«
»Und seitdem?«
»Anscheinend hatten sie keinen Kontakt mehr.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Vom Wirt. Er sieht wohl keinen Schaden darin, mir wenigstens das zu erzählen.«
Brunetti fragte sich, was für neue Streitereien es jetzt wohl um diesen Besitz geben würde, kam dann aber wieder zur Sache. »Und dieser Giacomini, von dem uns der Kellner erzählt hat?« fragte er.
Vianello zückte sein Notizbuch und klappte es auf. »Paolo Giacomini, ebenfalls Fischer. Der Wirt sagt, er wohnt in Malamocco, aber sein Boot hat er aus irgendeinem Grund hier liegen. Er ist als Unruhestifter bekannt, der gern für böses Blut zwischen Leuten sorgt.«
»Und der Streit zwischen Scarpa und Bottin?«
»Darüber wollte mir keiner etwas sagen, außer daß sie vor einem Jahr oder so aneinandergeraten sind. Ihre Boote sind entweder kollidiert oder sich so nah gekommen, daß ihre Netze sich verhedderten - egal: Seitdem herrscht jedenfalls Feindschaft zwischen ihnen.«
»Wir können ja mal bei der Polizei von Chioggia nachfragen«, meinte Brunetti.
»Das dürfte am besten sein, wenn die Sache sich dort zugetragen
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