Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
den Betreffenden bürgte. Was ihn dabei traurig stimmte, war nicht so sehr, daß die Leute, mit denen er es zu tun hatte, möglicherweise im Sold der Mafia standen oder aus irgendeinem anderen Grund nicht zuverlässig waren, sondern daß dieses instinktive Mißtrauen stark genug war, um jede Chance auf eine Zusammenarbeit zwischen den zersplitterten Vertretern der öffentlichen Ordnung von vornherein auszuschließen. Und Maresciallo Resto hatte sich, wie ihm aufging, sein Vertrauen nur dadurch erworben, daß er Signorina Elettras Vertrauen besaß. Diese Überlegung brachte ihn wieder nach Pellestrina, zu dem jungen Mann, der jetzt einen Namen hatte, und zu Signorina Elettra. Damit beschäftigte er seine Gedanken eine Viertelstunde lang, dann rief er wieder bei der Finanza an.
»Resto«, meldete sich eine helle Stimme.
»Maresciallo«, begann Brunetti, »hier ist Commissario Guido Brunetti von der Questura. Ich rufe an, weil ich Sie um ein paar Auskünfte bitten möchte.«
»Sind Sie Elettras Chef?« fragte der Mann, wobei er Brunetti nicht nur mit der Frage überraschte, sondern auch mit dem selbstverständlichen Gebrauch ihres Vornamens.
»Ja.«
»Gut. Fragen Sie, was Sie wollen.« Brunetti wartete -allerdings vergeblich - auf das übliche Loblied über Signorina Elettras zahlreiche Tugenden.
»Ich interessiere mich für einen Fall, den Sie vor etwa zwei Jahren hatten. Da wurde ein Fischerboot beschlagnahmt, das einem Vittorio Spadini gehörte, einem Fischer von Burano.« Er wartete, ob Resto etwas dazu sagte, doch der andere schwieg, und Brunetti fuhr fort: »Ich möchte gern alles wissen, was Sie mir über den Fall oder den Mann sagen können.«
»Ist das wegen der Morde?« fragte Resto zu seiner erneuten Überraschung.
»Wieso fragen Sie?«
Resto lachte kurz auf. »Es hat in den letzten zehn Tagen auf Pellestrina drei Tote gegeben, zwei davon waren Fischer, und jetzt ruft die Polizei an und fragt mich nach einem Fischer aus. Ich müßte ja ein Carabiniere sein, um mir über den Zusammenhang keine Gedanken zu machen.«
Es war zwar scherzhaft gesagt, aber nicht so gemeint. »Er soll mit einem der Opfer irgendwas zu tun gehabt haben«, bot Brunetti vorsichtig als Erklärung an.
»Haben Sie ihn verhört?«
»Er ist spurlos verschwunden. Eine Nachbarin sagt, er sei auf und davon.«
Resto schien zu überlegen, dann sagte er: »Warten Sie einen Augenblick, ich besorge mir die Akte.« Er blieb eine kleine Weile fort, kam dann zurück, nahm den Hörer auf und sagte: »Die Akte ist unten im Archiv. Ich rufe zurück.« Damit hängte er ein.
Aha, auch Resto will also sicher sein, mit wem er spricht, dachte Brunetti, der mutmaßte, daß der Maresciallo die Akte in der Hand hatte, es aber für klüger hielt, in der Questura anzurufen und sich mit Brunetti verbinden zu lassen.
Als schon wenige Augenblicke später das Telefon klingelte, nahm er ab und meldete sich mit seinem Namen, und da nichts damit zu gewinnen war, wenn er den Mann provozierte, widerstand er der Versuchung, Resto zu fragen, ob er jetzt wirklich zu wissen glaube, mit wem er es zu tun habe.
Brunetti hörte Papier rascheln, dann sagte Resto: »Wir haben mit dieser Ermittlung im Juni vor zwei Jahren begonnen. Damals haben wir uns seine Konten vorgenommen und sein Telefon und das seines Steuerberaters angezapft. Wir haben verfolgt, wieviel er auf dem Fischmarkt verkaufte, und dann geprüft, wieviel davon in seiner Steuererklärung auftauchte.«
»Was noch?« wollte Brunetti wissen.
»Und dann haben wir die üblichen Kontrollen vorgenommen.«
»Und die wären?« fragte Brunetti.
»Das sage ich lieber nicht«, antwortete Resto. »Aber wir haben schließlich herausbekommen, daß er in einem Jahr Fisch und Muscheln für fast eine Milliarde Lire verkaufte, aber ein Einkommen von weniger als hundert Millionen angab.«
»Und?« fragte Brunetti in die nächste Stille hinein.
»Wir haben noch ein paar Monate lang ein Auge auf ihn gehabt, und dann haben wir ihn an Land gezogen.«
»Wie einen Fisch.«
»Genau. Wie einen Fisch. Aber daraufhin verwandelte er sich augenblicklich in eine Auster. Nichts. Kein Geld. Keine Ahnung, wo er es hat. Falls er es noch hat.«
»Was meinen Sie, wie lange er so gut verdient hat?«
»Unmöglich zu sagen. Vielleicht fünf Jahre. Vielleicht länger.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wo er es versteckt hält?«
»Er könnte es ausgegeben haben.«
Brunetti, der gesehen hatte, in welchem Zustand sich Spadinis Haus
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