Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
wild das Gesicht abzuschlecken.
Brunetti hielt so abrupt an, daß er fast hingeschlagen wäre. Er blickte über den Rasen hinweg zu dem Hundehalter, der einmal kurz winkte und auf ihn zukam. Das kleine Mädchen sprang auf und rannte um die Rutsche herum, der Hund überglücklich immer hinterher. Wieder folgte er ihr die Leiter hinauf und die Rutsche hinunter, und unten ergab sich abermals das gleiche Geschlecke. Ehe der Hundehalter bei Brunetti angekommen war, machte dieser kehrt und ging fort. Sein Ziel war der Campo Vigner, wo laut Telefonbuch Vittorio Spadini wohnte.
Spadinis rechtes Nachbarhaus war von einem leuchtenden Rot, das linke von einem ebenso leuchtenden Blau. Sein eigenes Haus aber war von einem blassen Rosa, gebleicht von der Sonne und dem Regen vieler Jahre. Brunetti erkannte noch andere Zeichen: An einem der Fenster hing ein Vorhang halb von der Stange, ein Fensterladen war an der einen Seite so gut wie durchgefault. Die Buranesi waren Leute, die zumindest ihre Häuser liebten, und es überraschte ihn darum, solch offenkundige Zeichen von Verwahrlosung zu sehen.
Er läutete, wartete kurz und läutete noch einmal. Als niemand öffnete, ging er nach einer Weile zu dem roten Haus und klingelte dort. Eine kugelrunde Frau kam öffnen - jedenfalls war »kugelrund« das erste Wort, das Brunetti einfiel, als er sie sah. Sie war klein, kleiner als Chiara, mußte aber über hundert Kilo wiegen, und davon hatten sich die meisten zwischen Brüsten und Knien angesiedelt. Ihr Kopf war rund, ihr Gesicht war rund, sogar die kleinen Augen, die man hinter den Fleischwülsten kaum sah, waren kugelrund.
»Guten Tag, Signora«, sagte er. »Ich suche Signor Spadini.«
»Da sind Sie nicht der einzige«, antwortete sie mit einem Lachen, das ihren ganzen Körper zum Wabbeln brachte.
»Wie darf ich das verstehen?«
»Seine Frau sucht ihn, seine Söhne suchen ihn, und wenn mein Mann die kleinste Chance sähe, das Geld wiederzubekommen, das er ihm geliehen hat, würde er ihn sicher auch suchen.« Wieder lachte sie, und wieder wabbelte dabei ihr ganzer Körper.
Brunetti, den der sonderbare Widerspruch zwischen dem, was sie sagte, und der Art, wie sie es sagte, leicht verwirrte, wollte nun wissen: »Wann hat man ihn denn zuletzt gesehen?«
»Ach, irgendwann letzte Woche.« Und um die Lässigkeit zu erklären, mit der sie das alles von sich gab, fuhr sie fort: »Das macht er doch immer so: verschwindet einfach und kommt erst zurück, wenn er alles Geld durchgebracht hat und wieder ein bißchen arbeiten muß.«
»Als Fischer?«
»Natürlich«, antwortete sie, diesmal ohne zu lachen; vielmehr drückte ihre Miene Unverständnis gegenüber diesem Fremden vor ihrer Tür aus, der zu glauben schien, es gäbe für einen Mann von Burano noch andere Möglichkeiten, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
»Und seine Frau?«
»Arbeitet«, antwortete sie, und als sie sah, daß Brunetti als nächstes auch darüber Genaueres würde wissen wollen, fügte sie von sich aus hinzu: »Sie putzt in der Grundschule.«
Plötzlich schien ihr eingefallen zu sein, daß dieser Mann, der, obwohl er Veneziano sprach, eindeutig nicht von Burano war, ihr noch nicht den Grund für seine Neugier erklärt hatte, worauf sie fragte: »Was wollen Sie denn von ihm?«
Brunetti setzte ein Lächeln auf, von dem er hoffte, daß es recht wehmutsvoll aussah. »Ich fürchte, ich bin in einer ähnlichen Situation wie Ihr Gatte, Signora. Ich habe ihm Geld geliehen.« Er seufzte, schüttelte den Kopf und breitete in einer Geste, die ein Zwischending aus Enttäuschung und Resignation darstellen sollte, die Hände aus. »Haben Sie eine Ahnung, wo er zu finden ist?«
Sie lachte wieder, diesmal über den Aberwitz seines Vorhabens. »Nein. Frühestens wenn er von sich aus wiederkommt. Vittorio ist ein Waldvogel; kommt und verschwindet, wie es ihm gefällt, und fangen läßt er sich nicht, da kann einer sich noch so große Mühe geben.«
Einen Augenblick spielte Brunetti mit dem Gedanken, ihr seine Privatnummer zu geben und sie zu bitten, ihn anzurufen, wenn Spadini zurückkäme, aber dann überlegte er es sich anders, dankte ihr und fügte hinzu: »Ich hoffe, Ihr Mann hat mehr Glück.«
Ihr ganzer Körper wabbelte wieder, so unwahrscheinlich fand sie das; dann lächelte sie und schloß die Tür, und Brunetti blieb nichts anderes übrig, als sich durch das Menschengewimmel wieder zum Vaporetto zu begeben und nach Venedig zurückzufahren.
In der Questura angekommen,
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