Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
sich, zog den Backofen auf, nahm einen Teller heraus, auf dessen Mitte ein großes Rechteck Lasagne lag, und stellte ihn auf Brunettis Platz.
Er ging ins Bad, um sich die Hände zu waschen, und als er wiederkam, merkte er erst so richtig, wie hungrig er war und wie froh, wieder bei seinen Lieben zu Hause zu sein.
»Du siehst aus wie einer, der heute in der Sonne war«, sagte Paola, als sie ihm ein Glas Cabernet einschenkte.
Er trank ein Schlückchen. »Ist das der Wein, den dieser Student von dir macht?« fragte er, wobei er das Glas hob, um die Farbe zu studieren.
»Ja. Schmeckt er dir?«
»Sehr. Wieviel haben wir davon gekauft?«
»Zwei Kisten.«
»Gut«, sagte er und machte sich an seine Pasta.
»Du siehst aus wie einer, der heute in der Sonne war«, wiederholte Paola.
Er kaute, schluckte und sagte: »Ich war auf Burano.«
»Kann ich da mal mit, papà, wenn du wieder hinfährst?« rief Chiara dazwischen.
»Chiara, ich rede mit deinem Vater«, sagte Paola.
»Kann ich nicht gleichzeitig mit ihm reden?« fragte Chiara, der verletzte Stolz in Person.
»Wenn ich fertig bin.«
»Aber wir reden doch alle über dasselbe, oder?« fragte Chiara, immerhin klug genug, alles Beleidigtsein aus ihrer Stimme herauszuhalten.
Paola sah auf ihren Teller, dann legte sie ganz betulich ihre Gabel neben den Rest ihrer Lasagne.
»Ich habe deinen Vater etwas gefragt«, begann sie, und Brunetti vernahm das »dein Vater« und argwöhnte sofort, daß hinter der sprachlichen Distanzierung noch eine andere steckte.
Chiara wollte noch etwas sagen, aber Raffi gab ihr unter dem Tisch einen kräftigen Tritt, worauf sie den Kopf zu ihm herumwarf. Er preßte die Lippen aufeinander und kniff die Augen zu, und sie verstummte.
Schweigen legte sich über den Tisch. »Ja«, sagte Brunetti nach einer Weile, dann räusperte er sich und fuhr fort: »Ich bin nach Burano gefahren, weil ich dort mit jemandem reden wollte, aber der war nicht da. Dann wollte ich bei Romano zu Mittag essen, aber da war kein Tisch mehr frei.« Er aß seine Lasagne auf und schaute zu Paola hinüber. »Ist noch etwas übrig? Schmeckt nämlich köstlich«, fügte er hinzu.
»Was gibt es danach, mamma?« wollte Chiara wissen, deren Appetit doch stärker war als Raffis Warnung.
»Rindergulasch mit Paprikagemüse«, antwortete Paola.
»Das mit den Kartoffeln?« fragte Raffi mit dick aufgetragener falscher Begeisterung.
»Ja.« Paola stand auf und sammelte die Teller ein. Die Lasagne entpuppte sich zu Brunettis Enttäuschung als ausgestorbene Spezies: Es gab keine mehr.
Kaum war Paola am Herd beschäftigt, begann Chiara in der Luft herumzufuchteln, um Brunetti auf sich aufmerksam zu machen, dann legte sie den Kopf auf die Seite, riß den Mund auf und ließ die Zunge heraushängen. Dabei verdrehte sie die Augen und wackelte mit dem Kopf hin und her und hin und her, wie ein Metronom, und immer noch hing ihr die schlaffe Zunge aus dem Mund.
Paola sagte vom Herd aus, wo sie das Gulasch auftat: »Wenn du glaubst, daß du von dem Fleisch den Rinderwahn bekommst, Chiara, dann möchtest du vielleicht lieber nichts davon essen.«
Augenblicklich stellte Chiara das Kopfwackeln ein und legte die Hände sittsam vor sich auf den Tisch. »Aber nein, mamma,«, erklärte sie in salbungsvollem Ton, »ich bin sehr hungrig, und du weißt doch, daß es eines meiner Lieblingsgerichte ist.«
»Für dich ist doch alles ein Lieblingsgericht«, meinte Raffi.
Sie streckte wieder die Zunge heraus, aber ihren Kopf hielt sie diesmal still.
Paola kam zurück an den Tisch und stellte erst Chiara, dann Raffi einen Teller hin. Sie holte einen weiteren für Brunetti und zuletzt einen für sich selbst. Dann setzte sie sich.
»Wie war's denn heute in der Schule?« fragte Brunetti beide Kinder gleichzeitig in der Hoffnung, daß wenigstens eines antworten würde. Beim Essen wanderte seine Aufmerksamkeit von den geschmorten Rindfleischstücken über die Karottenwürfel zu den kleinen Zwiebelscheiben. Raffi berichtete etwas von seinem Griechischlehrer. Als er einmal kurz verstummte, sah Brunetti zu Paola hinüber und fragte: »Ist da ein Schuß Barbera drin?«
Sie nickte, und er lächelte, erfreut, daß er richtig geraten hatte. »Wunderbar«, sagte er, während er ein weiteres Stück Fleisch auf die Gabel spießte. Raffi beendete seinen Bericht über den Griechischlehrer, und Chiara räumte das Geschirr ab. »Die Dessertteller«, sagte Paola zu ihr, als sie damit fertig war.
Paola ging zur
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