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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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kapieren, daß ich sie umgebracht habe.«
    Seit dem Tag, an dem Carlo seiner Familie gesagt hatte, warum er bei der Guardia di Finanza entlassen worden war, hatte er halb gefürchtet, halb gewußt, daß sein Onkel sich irgendwie rächen würde, aber nun schockierte Vittorios plattes Geständnis ihn doch. »So etwas darfst du nicht sagen«, protestierte er, »ich will davon nichts wissen!« Hinter ihm schlug die Kabinentür mehrmals hintereinander auf und zu, und er fühlte Regen auf seinen Schultern.
    Vittorio zeigte zum Bootsheck. »Was hast du ihr erzählt?«
    »Nichts«, schrie Carlo.
    Der Wind und die schlagende Tür verschluckten Vittorios Worte zum Teil, doch die Wut, mit der sie hervorgestoßen wurden, erschreckte Carlo zur Genüge: »Du wußtest, wo sie arbeitet. Ihre dämliche Kusine hat es ja überall herumerzählt. Und ich hab dir gesagt, du sollst die Finger von ihr lassen, aber du warst ja schlauer. Was machen wir jetzt mit ihr?«
    Der Sturm fiel wütend über sie her. Er wirbelte alle Gedanken und Erinnerungen zu einem Knäuel zusammen, das er Carlo entriß, um es aufs Meer hinauszutragen, bis ihm nur noch der Gedanke an Elettra blieb. Er stürzte aus der Kabine und schlug sich zum Bootsheck durch. Dort schlang er die Arme um eine zitternde Elettra, gerade als der Himmel barst und kübelweise Regen über sie ausgoß.
    Er taumelte, ließ mit einem Arm los und packte die Reling. Ohne es bewußt zu wollen, schlang er den linken Arm noch fester um sie und führte sie mehr oder weniger gewaltsam zur Kabine, drückte die Tür mit der Schulter auf, und zusammen taumelten sie nach drinnen, wo sie sogleich nach links geschleudert wurden, als das Boot mit voller Breitseite von einer Welle getroffen wurde.
    Noch eine Woge traf das Boot und warf Elettra gegen Vittorio, der sie aber nur mit dem Ellbogen wegstieß und sich wieder dem Ruder zuwandte, um das er beide Hände fest gespannt hielt. Carlo versuchte nach vorn hinauszusehen. Die Scheibenwischer kämpften sinnlos gegen die Wassermassen, die über das Glas strömten. In der Dunkelheit, die sich auf sie gesenkt hatte, halfen auch die drei Suchscheinwerfer nichts, und Carlo sah nur den Regen und die drohenden, weiß schäumenden Wellen.
    Der Lärm umtoste sie von allen Seiten, und plötzlich nahm der Wind so an Lautstärke zu, daß er alles andere übertönte. Carlo fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und ein Klumpen Angst sich in ihm bildete, noch ehe er erkannte, daß die plötzliche Zunahme der Windlautstärke nur dadurch zustande kam, daß der Motor verstummt war.
    Er sah nur, ohne allerdings etwas zu hören, wie Vittorio auf den Starterknopf drückte und dabei die andere Hand flach auf die Steuerkonsole legte, um zu fühlen, ob der Motor ansprang. Immer wieder drückte Vittorio den Knopf, ließ los und drückte, und nur ein einziges Mal fühlte Carlo ein rhythmisches Wummern unter seinen Füßen. Aber es dauerte nur ganz kurz und war schon wieder zu Ende, bevor er es richtig wahrgenommen hatte. Wieder sah er den Daumen seines Onkels auf den Knopf drücken, loslassen, drücken, dann fühlten seine Füße, wie der Motor erwachte und unter ihnen stotternd seine Arbeit wieder aufnahm.
    Vittorio nahm die Hand vom Starterknopf und packte wieder das Ruder. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um eine größere Hebelwirkung zu haben, und setzte sein ganzes Gewicht ein, um das Ruder nach backbord zu drehen.
    Einmal wehrte sich das Ruder und hob ihn halb vom Boden. Carlo drängte sich an der entsetzten Elettra vorbei, packte mit beiden Händen eine der Radspeichen und versuchte dem Onkel mit seinem eigenen Gewicht zu Hilfe zu kommen. Das Boot reagierte auch, und er spürte an der Verlagerung seines Gleichgewichts, wie es dem Befehl des Ruders gehorchte und sich schwerfällig nach backbord drehte.
    Carlo hatte keine Ahnung, wo sie waren oder was sein Onkel vorhatte. Kein Gedanke an Land- und Seekarten, Caroman oder den Porto di Chioggia, der jetzt eine regelrechte Wasserrutsche war, über die sie in die Adria mit ihren tödlichen Wellen gespült würden. Er stemmte die Füße beiderseits des Steuerruders fest auf den Boden, und zusammen brachten sie das Boot noch weiter nach backbord. Vittorio nahm die rechte Hand vom Ruder und schob den Gashebel vor. Carlo fühlte in den Füßen, wie die Vibrationen des Motors stärker wurden, aber seine Wahrnehmung von der Welt draußen war so wirr, daß er nicht feststellen konnte, ob sich in den Bewegungen des Bootes

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