Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
irgend etwas an ihrer Backbordseite auf, und Bonsuan warf sich regelrecht auf das Ruder und versuchte es mit seinem ganzen Gewicht nach rechts zu reißen. Das Etwas verschwand aus ihrem Blickfeld, aber dann vernahmen sie von hinten ein furchtbares Krachen, so laut wie vorher der Donner, und das Boot drehte sich, schwerfällig, als wäre es plötzlich so voller Wasser wie Brunettis Kleidung.
Bonsuan riß das Ruder nach links, und sogar Brunetti spürte, wie langsam das Boot darauf reagierte. »Was ist los?«
»Wir sind an irgendwas gestoßen. Ich glaube, es war ein Boot«, antwortete Bonsuan, während er immer noch am Ruder riß. Er schob den Gashebel vor, und Brunetti hörte den Motor darauf ansprechen, aber das Boot schien sich kein bißchen schneller zu bewegen.
»Was machen Sie?«
»Ich muß uns an Land bringen«, sagte Bonsuan, der angestrengt nach vorn spähte, um etwas zu sehen.
»Wo?«
»Caroman, hoffe ich«, antwortete Bonsuan. »Ich glaube nicht, daß wir schon vorbei sind.«
»Wenn aber doch?« fragte Brunetti.
Zur Antwort schüttelte Bonsuan nur den Kopf, und Brunetti wußte nicht, ob er die Möglichkeit verneinte oder die Konsequenzen.
Bonsuan hantierte wieder am Gashebel, doch obwohl der Motor lauter wurde, wirkte es sich auf ihre Geschwindigkeit nicht aus. Eine Welle brach von der Seite über ihren Bug, spülte übers Deck und klatschte gegen die Kabinenwand. Das Wasser schoß durch das zerschlagene Fenster herein und ergoß sich über sie beide.
»Da, da, da!« schrie Bonsuan. Brunetti sprengte die Augen an und versuchte durch die Scheibe zu spähen, aber vor ihnen war nur eine graue Wand. Bonsuan sah sich kurz nach ihm um. »Gehen Sie nicht hinaus, bevor wir auf Grund sind«, sagte er. »Sobald wir aufsitzen, steigen Sie an Deck. Verlassen Sie das Boot nicht über die Seite. Gehen Sie ganz nach vorn, und springen Sie dann, so weit Sie können. Wenn Sie im Wasser landen, gehen Sie weiter vorwärts, und sobald Sie aus dem Wasser heraus sind, gehen Sie auch weiter.«
»Wo sind wir?« fragte Brunetti, obwohl die Antwort ihm gewiß nichts sagen würde.
In dem Moment krachte es gewaltig. Das Boot stoppte, als wäre es frontal gegen eine Mauer gefahren, beide Männer wurden zu Boden geschleudert. Jetzt legte sich das Boot auf die Steuerbordseite, und durch das kaputte Fenster strömte Wasser herein. Brunetti rappelte sich hoch und packte Bonsuan, der eine lange Schnittwunde seitlich am Kopf hatte und sich nur noch in Zeitlupe bewegte, wie unter Wasser. Noch eine Welle brach durchs Fenster herein und ergoß sich über sie.
Brunetti half dem Bootsführer auf dem schrägen Boden mühsam beim Aufstehen. »Geht schon wieder«, meinte Bonsuan.
Der eine Flügel der Kabinentür hing nur noch an einem Scharnier, und Brunetti stieß sie mit dem Fuß auf. Noch während er Bonsuan nach draußen hievte, stürzte sich das Wasser von allen Seiten auf sie. Eingedenk der Anweisungen, die Bonsuan ihm gegeben hatte, zog und schob Bru-netti den Bootsführer auf das schrägstehende Deck hinauf, dann stemmte er sich selbst nach oben.
Brunetti bugsierte Bonsuan mit der einen Hand vor sich her, während die Wellen das havarierte Boot durchschüttelten, daß die Decksplanken unter ihren Füßen schwankten. Schritt für Schritt näherten sie sich wie zwei Betrunkene dem Bug und dem Suchscheinwerfer, der die Dunkelheit vor ihnen durchbohrte. Sie erreichten die Reling, und ohne eine Sekunde zu zögern, sprang Bonsuan mit einem schwerfälligen Satz vom Boot und verschwand im grauen Nichts.
Eine Welle riß Brunetti von den Beinen. Er bekam die Halterung des Suchscheinwerfers zu fassen und wollte sich daran festklammern, aber eine neue, noch stärkere Welle packte ihn von hinten und warf ihn zu Boden. Er brachte die Knie unter sich, dann die Füße, schleppte sich schließlich erneut zum Bug. Im selben Moment, als er sein Gewicht nach vorn verlagerte, um so weit wie möglich zu springen, brauste eine ungeheure Welle von hinten heran und schleuderte ihn kopfüber in die brüllende Finsternis.
24
S ie hatten sich knapp verfehlt. Um die Zeit, als Bonsuan und Brunetti, die auf dem Weg nach Pellestrina waren, an San Pietro in Volta vorbeifuhren, stand eine strahlende Signorina Elettra in marineblauen Leinenhosen an Deck eines großen Fischerboots und konnte das Auslaufen kaum erwarten, während Carlo und der Mann, den sie immer nur Zio Vittorio nennen hörte, den großen Doppeltank füllen ließen. Soweit Elettra überhaupt
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