Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
Signore?«
»Worüber wollen Sie mit meiner Frau sprechen?«
»Über das nämliche Thema, Signor Ford: den Tod von Claudia Leonardo.«
»Das ist ja lächerlich. Wie sollte meine Frau etwas darüber wissen?«
»Tja, das ist die Frage, nicht wahr? Ihre Frau gehört doch auch zum Direktorium der Bibliothek, oder?«
»Ja, gewiß.«
»Bei meinem letzten Besuch haben Sie das nicht erwähnt«, stellte Brunetti fest.
»Doch, natürlich. Ich habe Ihnen gesagt, daß sie meine Kodirektorin ist.«
»Aber, wer Ihre Frau ist, das haben Sie mir nicht verraten, Signor Ford.«
»Sie ist meine Frau. Was brauchen Sie sonst noch über sie zu wissen?« beharrte Ford. Brunetti stellte sich vor, wie Paola reagieren würde, wenn sie ihn je so von ihr reden hörte. Doch er behielt diese Spekulationen lieber für sich und wiederholte statt dessen seine Frage: »Ist sie hier?«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Alles, was mit Claudia Leonardos Tod zusammenhängt, geht mich sehr wohl etwas an.«
»Sie können nicht mit ihr sprechen!« Ford wurde jetzt ziemlich laut.
Wortlos trat Brunetti zurück, wandte sich um und ging zur Tür.
»Wo wollen Sie hin?«
»Zurück zur Questura, um mir eine richterliche Vorladung für Ihre Frau zu besorgen.«
»Das können Sie nicht machen«, protestierte Ford noch lauter.
Brunetti fuhr herum und machte einen Schritt auf ihn zu. Er wirkte so erbost, daß der andere unwillkürlich zurückschreckte. »Was ich tun kann oder nicht, das richtet sich nach dem Gesetz, Signor Ford, nicht nach Ihren Wünschen. Und ich werde mit Ihrer Frau sprechen.« Damit wandte er dem Engländer brüsk den Rücken, um deutlich zu machen, daß er ihm nichts weiter zu sagen habe. Er rechnete damit, daß Ford ihn zurückrufen und einlenken werde. Als das nicht geschah, ging Brunetti hinaus in den Lesesaal, wo Vianello mit einem aufgeschlagenen Buch an einem der Tische lehnte. Niemand hätte den raschen Blickwechsel bemerkt, mit dem sie sich verständigten, und der Inspektor schaute auch gleich wieder in sein Buch.
Brunetti war schon auf dem Weg zur Treppe, als Ford aus seinem Büro gelaufen kam. »Warten Sie!« rief er ihm nach. Brunetti hielt inne, drehte sich halb um, machte aber keine Anstalten, in den Lesesaal zurückzukehren.
»Commissario...« Fords Stimme klang gefaßt, aber auf seinem Gesicht lag noch die Zornesröte des Unterlegenen. »Vielleicht können wir uns aussprechen.« Er warf einen Blick auf die beiden Alten, aber die beugten sich schon wieder angelegentlich über die Bücher, in denen sie gelesen hatten, als Ford hereinstürzte. Vianello nahm von niemandem Notiz.
Der Engländer streckte versöhnlich die Hand aus. »Commissario! Kommen Sie in mein Büro, und lassen Sie uns reden.«
Um zu demonstrieren, wie widerwillig er der Bitte entsprach, bewegte sich Brunetti betont langsam. Als er an Vianello vorbeiging, deutete er verstohlen auf die beiden Alten, und der Inspektor nickte. Brunetti folgte dem Engländer zurück in sein Büro, wartete, bis Ford die Tür geschlossen hatte, und nahm dann wieder in dem Sessel Platz, in dem er schon bei seinem ersten Besuch gesessen hatte. Ford verschanzte sich diesmal hinter seinem Schreibtisch.
Es fiel Brunetti nicht schwer, sein eisernes Schweigen beizubehalten, hatte ihn doch langjährige Erfahrung gelehrt, wie wirksam diese Taktik war, wenn man die anderen zum Reden bringen wollte.
Endlich sagte Ford: »Ich glaube, ich kann das erklären.« Und da Brunetti beharrlich weiterschwieg, fuhr er fort: »Also das Mädchen benahm sich wahnsinnig aufreizend.« Er beobachtete, wie Brunetti darauf reagierte, und als der Commissario interessiert schien, fuhr er fort: »Natürlich hatte ich davon keine Ahnung, als sie anfänglich zu uns kam und bat, die Bibliothek benützen zu dürfen. Damals machte sie einen durchaus seriösen Eindruck. Und das blieb so, bis sie die Stelle hatte, aber dann legte sie los.«
»Womit?« fragte Brunetti, und es klang ebenso gespannt wie gutgläubig.
»Ach, sie erfand ständig Ausreden, um zu mir reinzukommen und nach irgendwelchen Dokumenten zu fragen oder weil sie angeblich ein Buch nicht finden konnte, nach dem sich jemand erkundigt hatte.« Er bedachte Brunetti mit einem kleinen Lächeln, das wohl jungenhaft und verlegen sein sollte, auf Brunetti aber nur durchtrieben wirkte. »Anfangs hat mir das sogar geschmeichelt - also, daß sie meine Hilfe oder meinen Rat suchte. Aber es dauerte nicht lange, bis ch merkte, wie überflüssig viele
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