Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
jämmerliche Unterwürfigkeit.
»Aus Liebe, Commissario. Aus Liebe.« Der Ton, in dem sie das sagte, ließ vermuten, daß sie dabei nicht nur an Eleonora Filipetto dachte.
Brunetti zog es vor, dem nicht weiter nachzugehen, und sagte statt dessen: »Er hat mir erzählt, seine Frau sei Kodirektorin der Bibliothek.«
»In der auch Claudia gearbeitet hat«, ergänzte sie und ließ sowohl den Satz als auch den Gedanken dahinter für Spekulationen offen.
»Diese Telefonate«, sagte er. »Zeigen Sie mir noch mal die Telecomliste.«
Signorina Elettra machte sich an ihrem Computer zu schaffen, und in weniger als einer Minute erschien die komplette Liste von Claudias Telefonaten auf dem Bildschirm. Brunettis Bitte vorwegnehmend, drückte sie ein paar Tasten, und sämtliche Einträge bis auf die Telefonate zwischen Claudia Leonardo und der Biblioteca della Patria verschwanden. Gemeinsam verglichen sie die restlichen Aufzeichnungen: die kurzen Telefonate der Anfangsphase, dann die längeren und immer länger werdenden Gespräche, und schließlich den Donnerschlag jenes letzten Anrufs, der genau zweiundzwanzig Sekunden gedauert hatte.
»Würden Sie es ihr zutrauen?« fragte Signorina Elettra.
»Ich denke, die Frage werde ich ihrem Mann stellen«, antwortete Brunetti.
25
S ignorina Elettra druckte die Telefondatei aus, und sowie Brunetti sie in Händen hielt, ging er nach unten und bat Vianello, ihn zu begleiten. Auf dem Weg zur Bibliothek klärte er den Inspektor über Eleonora Filipettos Eheschließung auf, erläuterte Zeit und Dauer der Telefonate sowie die Schlüsse, die er daraus gezogen hatte.
»Es wäre wohl auch eine andere Erklärung denkbar?« gab Vianello der Form halber zu bedenken.
»Natürlich«, räumte Brunetti ein, obwohl er ebensowenig daran glaubte.
»Und Sie sagen, Filipettos Tochter ist Kodirektorin dieser Bibliothek?« fragte Vianello.
»Laut Aussage ihres Mannes, ja. Warum?«
Vianello verlangsamte seinen Schritt und blickte Brunetti von der Seite an, um zu sehen, ob der Commissario seinen Gedankengang nachvollzogen habe. Als Brunetti schwieg, fragte der Inspektor: »Fällt Ihnen denn gar nichts auf?«
»Nein, was denn?«
»Mit einem solchen Namen - ›Biblioteca della Patria‹ - kassieren die doch von beiden Seiten. Egal, für wen diese alten Männer im Krieg gekämpft haben, sie werden ihr Geld der Biblioteca spenden, im guten Glauben, daß dort ihre Ideale vertreten werden.« Vianello verstummte, und Brunetti konnte beobachten, wie er seine These in Gedanken zu Ende entwickelte. Endlich fuhr der Inspektor fort: »Wahrscheinlich sind sie auch noch als gemeinnütziger Verein eingetragen, und kein Mensch prüft nach, wofür sie die Gelder verwenden.« Und dann rasselte es in seiner Kehle, als wolle er ausspucken.
»Das können Sie nicht mit Sicherheit behaupten«, sagte Brunetti.
»Natürlich kann ich. Sie ist eine Filipetto.«
Danach versank Vianello in Schweigen und paßte sich wieder Brunettis Schritt an, während sie entlang der schmalen Kanäle im Castello-Viertel auf San Pietro di Castello und die Biblioteca zusteuerten. Dort angekommen, entdeckte Brunetti neben dem Eingang eine Tafel mit den Öffnungszeiten, die ihm beim letztenmal nicht aufgefallen war. Er läutete, ein paar Sekunden später sprang der portone auf, und sie traten ein.
Die Tür oben an der Treppe war nicht verschlossen, und sie gelangten ungehindert in die Bibliothek. Ford war nirgends zu sehen, die Tür zu seinem Büro geschlossen. Ein alter Mann saß gebückt und ein wenig angestaubt an einem der langen Tische und hielt ein aufgeschlagenes Buch in den Lichtschein der Leselampe. Ein anderer Veteran stand vor der Vitrine und betrachtete die ausgestellten Tagebücher. Schon auf etliche Meter Entfernung nahm Brunetti den charakteristischen Altmännergeruch wahr: die säuerliche Ausdünstung trockener Haut und muffiger Kleider, die lange nicht mehr gewaschen wurden. Unmöglich zu sagen, von wem der Geruch kam, vielleicht von beiden.
Bei ihrem Eintritt blickte keiner der Veteranen sich nach ihnen um. Erst als Brunetti sich neben den Mann vor der Vitrine stellte, sah der zu ihm auf. Mit Bedacht wählte der Commissario die venezianische Mundart, als er ohne jede Einleitung sagte: »Schön, daß es noch Leute gibt, die Respekt vor den alten Traditionen haben.« Dabei wies er mit einer Handbewegung auf die Regimentsflagge über ihnen.
Der Alte nickte lächelnd, sagte aber nichts.
»Mein Vater war in Afrika und in
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